Wer noch nicht da gewesen ist, kann sich einfach nicht vorstellen, welch ein absurdes Theater seit Jahrzehnten an der innerkoreanischen Grenze stattfindet. Auf beiden Seiten starren Soldaten in ständiger Alarmbereitschaft gebannt auf das gegenüberliegende Feindesland. Genau auf der Grenze stehen drei blaue Baracken, in denen man sich seit 1953 nichts mehr zu sagen hat, das Mikrofonkabel auf der Tischmitte trennt den kommunistischen Norden vom westlich geprägten Süden.
Um Größe zu demonstrieren, wurden auf beiden Seiten im Laufe der Jahre immer höhere Masten mit immer größeren Fahnen aufgestellt. Da der eisige Wind beiden Fahnenmasten immer wieder zu schaffen machte, einigten sich beide Konfliktparteien insgeheim darauf, dass der Norden den höheren Mast und der Süden die größere Fahne hat. Wie gesagt: absurdes Theater, vom dem die normale Bevölkerung nicht viel mitbekommt, denn ein vier Kilometer breiter und 250 Kilometer langer Todesstreifen, die sogenannte Entmilitarisierte Zone, trennt die verfeindeten Bruderstaaten voneinander.
Wechselseitige Provokationen
Es bleibt die hässlichste Narbe des Kalten Krieges. Lange wurden die dort dienenden Soldaten wechselseitig mit lautstarker Propaganda beschallt. Das brachte allerdings nicht viel und so wurde die Beschallung irgendwann eingestellt. Weil im August zwei südkoreanische Soldaten durch mutmaßlich nordkoreanische Minen schwer verletzt wurden, hat der Süden jetzt wieder den Norden beschallt. Der reagierte gereizt, schoss in Richtung der Lautsprecher im Süden, der erwiderte das Feuer und kurz danach versetzte Nordkoreas Machthaber seine Truppen in Gefechtsbereitschaft: Die Grenzregion befinde sich im "Quasi-Kriegszustand."
Und spätestens hier zeigt sich, wie brandgefährlich dieses absurde Theater tatsächlich ist. Wechselseitige Provokationen gehören zum Ritual des Kalten Krieges: Auf gemeinsame Militärübungen des Südens mit der Schutzmacht USA reagiert der Norden meist mit Raketentests und dem Einfrieren aller zaghaften Annäherungsversuche. Auf die nordkoreanischen Atom- und Raketentests reagiert der Süden wiederum mit verständlicher Schärfe.
Aber längst besitzen diese Provokationen eine Sprengkraft, die nur noch schwer zu entschärfen ist. Man sollte nicht vergessen, dass sich die beiden Bruderstaaten formal noch im Kriegszustand miteinander befinden, da 1953 lediglich ein Waffenstillstand, aber eben kein Friedensvertrag geschlossen wurde. Kleine Scharmützen eskalieren immer schneller zu handfesten Auseinandersetzungen. Bereits 2010 beschoss der Norden eine südkoreanische Insel, weil er sich von einer Militärübung des Südens bedroht fühlte. Zudem wurde ein großes südkoreanisches Kriegsschiff versenkt, vermutlich weil es auf eine nordkoreanische Mine lief.
Peking am Zug
Brisant ist aber vor allem, dass es zwischen Seoul und Pjöngjang keine Gesprächsebene gibt, die eine ernsthafte Krise entschärfen könnte. Im Norden regiert dank dynastischer Thronfolge ein junger Machthaber mit brutaler Härte. Aber auch Säuberungen im Inneren und Machtdemonstrationen nach außen konnten die Zweifel an seiner Person nicht ausräumen, dafür läuft es einfach zu schlecht im selbsterklärten "Bauern- und Arbeiterparadies". Und auch der Süden signalisiert kaum Gesprächsbereitschaft, auch hier haben die Hardliner das Sagen. Gerade deshalb könnten sich solche ritualisierten Zündeleien allzu leicht und letztlich von allen ungewollt zum Flächenbrand entwickeln.
Aus sich selbst heraus können die beiden Koreas diesen Konflikt nicht beilegen. Dazu bracht es den entschiedenen Einsatz Pekings, zu dem beide einen engen Draht haben. Die Schutzmacht China könnte viel massiver als bisher Druck auf den Bruderstaat ausüben, denn ohne Pekings Unterstützung wäre Pjöngjang längst vollends kollabiert. Zudem scheint China der südkoreanischen Präsidentin Park halbwegs zu vertrauen. Deren Schutzmacht USA ist vor allem mit sich selbst beschäftigt und will keine Eskalation. Also muss China die Initiative ergreifen. Das Ziel ist nicht eine koreanische Wiedervereinigung, denn die will eigentlich niemand. Aber zumindest könnte dank chinesischer Vermittlung eine Gesprächsebene gefunden werden, damit sich Scharmützel nicht ungewollt zum Krieg entwickeln.
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