Italien hat eine neue Regierung. Nummer 66 seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Hoffnung, Risiko, Experiment oder neue Chance? Von allem ist etwas dabei.
Für die Europäische Union keimt etwas Hoffnung auf, dass es mit einem vernünftigen Finanzminister in einer mehr der EU zugeneigten Koalition möglich ist, einen Showdown um den Haushalt und die überbordende Verschuldung Italiens zu vermeiden. Das Gequatsche des rechtsradikalen Lega-Führers Matteo Salvini von einer Parallelwährung, die einem Ausstieg aus dem Euro gleichkäme, ist vorläufig vom Tisch. Die Märkte reagierten erfreut. Italien bekommt etwas Luft zum Atmen.
Das Risiko, dass die neue Regierung nach wenigen Monaten, spätestens in einem Jahr kollabiert, ist allerdings groß. Die populistische Wutbürger-Bewegung Fünf Sterne und die etablierten Sozialdemokraten sind einfach zu unterschiedlich - sowohl vom Stil als auch von den Inhalten her. Sie werden nur von der Furcht vor dem rechten Poltergeist Salvini zusammengehalten. Hätte es keine Koalition, sondern Neuwahlen gegeben, hätte dieser wohl triumphiert und wäre selbst Premier geworden.
Rechtsaußen Salvini bleibt beliebt
Die neue linke Regierung wird es derweil schwer haben, die Stimmung der Italiener zu drehen. Salvini ist beliebt. Auch sein harter Kurs gegen Migration, gegen Flüchtlinge und gegen "die da in Brüssel" kommt an. Das weiß der Lega-Führer natürlich und hat bereits auf Wahlkampf umgeschaltet. Die populistisch-sozialdemokratische Angst-Koalition ist für ihn ein "Desaster", das er mit allen Mitteln zu Fall bringen will. Dass eine rechtsgerichtete Regierung unter Salvinis Führung ein noch viel größeres Desaster wäre, haben die Italiener leider immer noch nicht erkannt.
Das Politik-Experiment hat nur eine Chance, wenn Populisten und Sozialisten nun Greifbares liefern, statt sich in endlosen Streitereien zu verlieren. Die Versprechen zu sozialen Wohltaten und Investitionen sind groß, aber die Kassen sind leer. Das Risiko, dem geschickten Wahlkämpfer Salvini ungewollte Steilvorlagen zu liefern, ist groß.
Aber die neue Regierung birgt auch eine Chance, die Flüchtlings- und Migrationspolitik in der EU noch einmal anzupacken. Es muss endlich ein Verteilmechanismus gefunden werden. Dann könnte Italien seine Häfen auch wenigstens wieder einen Spalt weit öffnen und die Kriminalisierung der privaten Seenotretter abschwächen. Gelingt das nicht, wird auch die neue Regierung auf einen harten Kurs gehen, denn die Stimmung der italienischen Wählerinnen und Wähler ist durch die populistische Hysterie von rechts und links in den letzten zwei Jahren auf Abschottung und "Italien zuerst" gepolt.
Streit ist vorprogrammiert
Die Kraft, wirkliche Reformen anzupacken und die Wirtschaft in Italien anzuschieben, hat diese neue Koalition kaum. Sie wird sich durchwursteln wie viele ihrer Vorgänger. Ungemach droht der neuen Mannschaft auch von innen. Die Sozialdemokraten, die eine erstaunliche Wende hingelegt haben in den letzten Wochen, sind untereinander zerstritten. Der frühere Parteichef und Ministerpräsident Matteo Renzi will zurück an die Macht. Er hat sich vorläufig gegen den aktuellen Parteichef Nicola Zingaretti durchgesetzt, der das Experiment mit der Fünf-Sterne-Bewegung ablehnen wollte. Und auch innerhalb der Bewegung brodelt es. Den plötzlichen Schwenk der Protestpartei zu einem etablierten Koalitionspartner haben viele frustrierte Italiener noch nicht verstanden.
Unterm Strich wird die Lebensdauer dieser Koalition begrenzt sein. Neuwahlen im kommenden Jahr sind wahrscheinlich. Damit wäre die gelb-rote Mannschaft noch gar nicht einmal schlecht. Im statistischen Durchschnitt liegt die Amtsdauer eines Kabinetts in Italien gerade einmal bei einem Jahr und knapp zwei Monaten.