Immer vorwärts AfD?
Die AfD ist weder plötzlich vom Himmel gefallen noch aus der Hölle aufgestiegen. Sondern sie hat Lücken ausgefüllt. Manchen Politologen und Demoskopen sprechen von einer "rechten" Repräsentationslücke im Parteienspektrum. Eine andere, weniger theoretische Erklärung lautet: Da hatte sich ziemlich viel Frust angestaut, der sich nun über die AfD entlädt. Frust über Politiker, die sich zu wenig um Alltagssorgen der Menschen gekümmert haben. Etwa um gestiegene Kriminalität, schlechte Bus- und Bahnverbindungen oder heruntergekommene Schulen. Im Osten, den AfD-Hochburgen, kamen der Schock und dann die Wunden des eiskalten Wende-Kapitalismus dazu: Massenarbeitslosigkeit, das Auslöschen von Erwerbsbiografien.
Im ganzen Land stagnierten viele Jahre lang die Einkommen. Im Westen fehlte Geld in den Kommunen und für Straßen. Geld zu finden zur Bankenrettung in der Eurokrise war dann aber kein Problem. So erodierte das Vertrauen in die Politik - die kostbare und sensible Währung zwischen Politikern und Bürgern. In diese Gemengelage platzten hunderttausende Flüchtlinge. Ihnen wurde mit viel Empathie und Solidarität begegnet. Eine solche Haltung vermissten die, die sich als soziale Verlierer empfinden bei Behörden und Nachbarn.
Nährboden für die Populisten
Fatalerweise vernachlässigten viele deutsche Medien gerade in dieser Situation ihre Wächterfunktion, stattdessen kuschelten sie mit den politischen und wirtschaftlichen Eliten. Der ehemalige Journalismus-Professor Michael Haller hat die Berichterstattung über die "Flüchtlingskrise" untersucht und der Zunft ein vernichtendes Urteil ausgestellt: Tugenden wie Unabhängigkeit und Distanz seien von narzisstischer Selbstdarstellung verdrängt worden, schreibt Haller im Magazin "Cicero". Konfliktreicher Streit sei vermieden oder schön geredet worden.
Das war der Nährboden für die deutschen Rechtspopulisten. Er war fruchtbar und wird es bleiben, so lange das Umdenken bei den etablierten Parteien ausbleibt. Immerhin, im Jahr 2017 ist vieles in Bewegung gekommen. Begriffe wie Heimat, Sicherheit und Miteinander stehen bei vielen Parteien wieder auf der Agenda. Politiker trauen sich, heikle Konflikte wie den Wende-Schock in Deutschland zu thematisieren.
Eine Stärke: stolze Volksparteien
Böse Zungen könnten behaupten, nun liefen die anderen Parteien der AfD hinterher. Mindestens die beiden großen stolzen Volksparteien CDU/CSU und SPD sollten so viel Würde haben, über diesen Vorwurf hinweg zu gehen. Eine Antwort wäre, dass sich Parteien als lebendige Organisationen zeigen, die sich programmatisch und personell weiterentwickeln können. Dass der Weg funktionieren kann, zeigen die neuen Regierungen in Frankreich und Österreich.
Wie es den Volksparteien in Deutschland in zwei oder fünf Jahren gehen wird, hängt also weniger vom Schielen auf den politischen Gegner, sondern von der Fähigkeit der eigenen Erneuerung ab.
AfD strukturell noch unterentwickelt
Die AfD muss erst noch zeigen, dass sie für die große Politik die richtigen Köpfe, Strukturen und die nötige Ausdauer hat. Noch ist sie eine Protestpartei, die davon profitiert, scherenschnittartige Gegenkonzepte schmackhaft gemacht zu haben - auch wenn sie 2017 in den Bundestag eingezogen ist und seither stabile Umfragewerte hat, also schon etabliert scheint.
Dass die AfD schon 2018 wie die FPÖ in Österreich den nächsten Schritt machen will und kann, nämlich Koalitionspartner der Konservativen zu werden, damit ist nicht zu rechnen. Ob aber die AfD mittelfristig überhaupt in der Verfassung sein wird, Teil einer Regierung zu werden, bleibt abzuwarten. Denn stärker als in anderen Parteien wird die AfD immer wieder von Existenz bedrohenden Machtkämpfen durchgeschüttelt.
Das "Hitler-Gen" stirbt trotzdem aus
Populistische Parteichefs in anderen Staaten haben autoritäre Brandmauern hochgezogen. Wohl auch, damit der eigene Laden vor lauter Streit nicht auseinander fliegt. Gegenwärtig hat die AfD keine starke Person an der Spitze. Die Gefahr, dass die Partei in den kommenden Monaten autoritärer wird, ist nicht so groß. Vielleicht ist es aber auch nur eine Frage der Zeit.
Noch gibt es AfD-Funktionäre, viele an der Parteibasis und auch Wähler, die es soweit nicht kommen lassen wollen. Außerdem wacht die deutsche Zivilgesellschaft darüber. Trotz der AfD-Erfolge gilt: Die Deutschen haben ein geschichtlich geprägtes Problem mit zu hoher Machtkonzentration in den Händen einer Person. Das "Hitler-Gen" stirbt weiterhin nach und nach aus.
Der andere Zeitgeist
Außerdem: Der Zeitgeist im westlichen Europa kennt auch eine andere Richtung. Sebastian Kurz und Emmanuel Macron mit ihren "Bewegungen" hinterfragen den Sinn klassischer Parteien mit ihren Machtstrukturen. "En Marche!" soll ein Ideenlabor sein, ohne Zwang zur Parteimitgliedschaft und mit weniger Top-Down. Die "Liste Sebastian Kurz" will "offene Plattform" einer "neuen Volkspartei" sein. Beider Politiker Ziel ist es, wieder mehr Bürger in die Politik einzubinden und damit näher am Menschen zu sein.
In Deutschland gibt es ähnliche Ansätze im Kleinen schon seit Jahren. Bündnisse ohne Parteienzwang wie die "Freien Wähler" gewinnen an Zulauf. Parteilose Bürgermeister übernehmen Rathäuser. "Liquid Democracy" nannte die Piratenpartei den Versuch, über das Internet politische Prozesse neu zu organisieren - als Mischung aus repräsentativer und direkter Demokratie. Auch die Diskussion über eine Minderheitsregierung in Deutschland mit wechselnden Mehrheiten zeigt: Da ist einiges in Bewegung gekommen. Sollte sich der politische Zeitgeist in diese Richtung bewegen, könnte die AfD schnell ziemlich altmodisch wirken. Ihre Gefolgsleute behaupten zwar, die Demokratie auf eine höhere Ebene heben zu wollen, intern aber tickt die Partei anders: Es gibt dort viel Alpha-Männchen-Schweiß und wenig Team-Spirit.
Also: Die politischen Gestirne versprechen für die AfD und die anderen Parteien ein dynamisches Jahr 2018. Was dann in zwölf Monaten sein wird, wissen vielleicht nur die Astrologen.
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