Im Namen des Volkes?
19. Mai 2014Seit der Tötung des Machthabers Muammar al-Gaddafi im Oktober 2011 kommt Libyen nicht zur Ruhe. Die letzte und womöglich gefährlichste Entwicklung sind die Gefechte in Bengasi, der zweitgrößten Stadt Libyens und Geburtsort der Revolution, zwischen Einheiten des abtrünnigen Generals Chalifa Hafter und islamistischen Milizen. Fast schon vergessen scheint, dass beide vor ein paar Jahren noch Seite an Seite gegen Gaddafi gekämpft hatten. Die aktuellen Kämpfe haben sich zwischenzeitlich dramatisch ausgeweitet und die Hauptstadt Tripolis erreicht: Bewaffnete Kämpfer erstürmten dort das libysche Übergangsparlament und erklärten es für aufgelöst. Die machtlose Regierung in Tripolis wirft Hafter einen Putschversuch vor, kann aber nichts tun, um ihn zu stoppen oder zu verhaften.
Stilisierter "Retter der Nation"
Bengasi und seine Umgebung sind ein Sammelbecken vieler nationalistischer und islamistischer Gruppierungen, doch erkennbar sind zwei Hauptströmungen: Die eine setzt sich für ein föderales Regierungssystem ein - will aber oftmals nur einen Staat im Staate gründen und Partikularinteressen von Stämmen durchsetzen. Dafür greift sie Regierungseinrichtungen an, blockiert Häfen und verkauft Öl ohne Zustimmung der Zentralregierung in Tripolis. Die andere Hauptströmung will einen islamischen Staat auf Basis der Scharia einrichten - was zu einer Intervention von außen führen könnte. Die Rivalitäten werden schon länger äußerst brutal ausgetragen: Mehr als zehn Politiker und Generäle wurden in der vergangen sechs Monaten ermordet. Granaten und Raketen fliegen durch die Wohnviertel. Menschen wagen es nicht mehr, sich frei auf den Straßen von Bengasi und Umgebung zu bewegen. Eine Situation, die General Hafter ausnutzte, um sich als "Retter der Nation" hochzustilisieren.
Ägyptens General Sisi als Vorbild
Hafter lehnt es ab, die militärischen Angriffe seiner Kämpfer als "Putsch" zu bezeichnen. "Das ist kein Putsch im konventionellen Sinne", sagt er. Aber was ist es dann? Glaubt man Hafter, dann hat das libysche Volk nach ihm gerufen, um es von "terroristischen Gruppierungen" zu befreien. Dieses Vorgehen erinnert an die Methode des ehemaligen ägyptischen Militärchefs Abdel Fatah al-Sisi, der nach eigener Darstellung ebenfalls im Volksauftrag gehandelt hatte, als er den demokratisch gewählten Präsidenten Mohammed Mursi von den Muslimbrüdern aus dem Amt verjagte. Al-Sisi hat kürzlich kritisiert, dass es in Libyen viel zu viele Waffen gebe, die die NATO vor Ende ihrer Angriffe auf Gaddafis Truppen hätte einsammeln müssen. Der Verdacht liegt nahe, dass General Hafter genau dies als seinen Job betracht und dabei auf Unterstützung regionaler und internationaler Kräfte wie Ägypten und USA spekuliert. Aber mit welchem Mandat?
Demokratie kein Modell in der Region?
Es gibt kein Mandat - so einfach ist das. Jedenfalls hat ihm das libysche Volk keines erteilt. Was es aber gibt, ist eine gefährliche Denkweise, die nach den Enttäuschungen des Arabischen Frühlings immer weiter in der Region um sich greift: Vermeintlich starke Generäle dürfen demokratische Grundsätze mit Füßen treten, um angeblich erst einmal Sicherheit und Stabilität zu schaffen. Hafter mag ja Recht haben, wenn er die islamischen Milizen als Gefahr für die Demokratisierung bezeichnet. Wer jedoch ein Parlament erstürmen lässt, trägt noch weniger zur Demokratisierung bei.