"Die Alibis waren weg", feixte Thomas Müller nach dem 4:0 gegen Borussia Dortmund halb ernst, halb im Spaß. Was nach einem flapsigen Spruch klingt, hat mehr Tiefgang: Mit der Entlassung von Niko Kovac lastete in den letzten beiden Spielen tatsächlich mehr Druck auf den Schultern der Spieler - ein branchenübliches Phänomen.
Denn bei weiteren Niederlagen wären es die hochbezahlten Profis des Rekordmeisters gewesen, die in den Mittelpunkt der Kritik geraten wären und eben nicht der Übergangstrainer. Dem wäre lediglich attestiert worden, dass seine Mühen und sein Engagement nicht ausgereicht hätten und er, in diesem Fall Hans-Dieter Flick, wäre schnell wieder in Vergessenheit geraten.
Mit einer Gala in den Fokus
Aber das ist nicht passiert. Im Gegenteil: In zwei Spielen unter der Verantwortung von Flick feiern die Bayern zwei Heimsiege mit einem 6:0-Torverhältnis. Einen glanzlosen Arbeitssieg gegen Piräus in der Champions League und die Machtdemonstration gegen Dortmund - auch wenn es noch nicht so viele Spiele waren, Fakt ist: Bayern hat sich unter Flick binnen zwei Spielen beeindruckend gesteigert. Das spricht zunächst natürlich für die Mannschaft, die ihre Reputation repariert und binnen einer Woche von der Lachnummer der Liga zum Muskelprotz der Liga aufgestiegen ist.
Vielmehr aber noch spricht das für den Trainer, dem wohl die wenigsten einen solchen Prestigesieg gegen den BVB zugetraut hätten. Vor dem Spiel wusste man nicht so recht, wo die Bayern mit Flick an der Seitenlinie stehen. Nach dem Spiel ist klar: Der ehemalige Assistent von Bundestrainer Joachim Löw hat neue Kräfte im Team freigesetzt, ihm gehört ein gehöriger Anteil am bayrischen Sturmlauf - ohne die Wirkung Flicks wäre dieser Auftritt gegen den BVB sicher nicht möglich gewesen.
Den Moment genießen
Es sind viele schöne Zahlen, die sich die Bayern und ihre Fans heute auf der Zunge zergehen lassen können: 2500 Heimtore in der Bundesliga erzielt, gleichzeitig dem Rivalen aus Dortmund das 2500. Tor in der Bundesliga eingeschenkt. Oder die Ergebnisse zu Hause gegen den BVB seit der Saison 2015/16: 5:1, 4:1, 6:0, 5:0 und 4:0 - Wahnsinn. Oder die Tatsache, dass Robert Lewandowski gegen seinen Ex-Verein mit seinen Saisontoren 15 und 16 den Tor-Rekord von Gerd Müller nach elf Spieltagen gebrochen hat. Oder, oder, oder.
Natürlich sind es Zahlen, sind es Statistiken, die das Herz von Fans und Verantwortlichen höher schlagen lassen, weil sie eine so herrlich klare Sprache sprechen. Aber es ist auch klar, dass Zahlen und Statistiken in der einen Woche der beste Freund und in der anderen Woche der schlimmste Feind sind - das haben das 1:5 in Frankfurt und das 4:0 gegen Dortmund binnen sieben Tagen eindrucksvoll gezeigt. Die wahre, frohe Vorweihnachtsbotschaft in München ist aber die: In einer Situation, in der die Klub-Verantwortlichen ganz offenbar keinen echten Plan für das eingetretene Szenario mit der Entlassung von Niko Kovac hatten, entpuppt sich eine vermeintliche Übergangslösung als viel mehr. Nach zwei Spielen unter Flick ist klar: Der Mann hat das Zeug zum Cheftrainer beim FC Bayern. Die Frage ist nur, ob er und der Klub das auch wollen.
Flick wäre eine gute Wahl
Wir werden in aller Ruhe mit ihm weitermachen", so das Credo von Vorstandsboss Rummenigge am Samstagabend. Auf die Frage, ob Flick im nächsten Spiel auch auf der Bank sitzen wird, sagte Rummenigge: "Davon kann man ausgehen." Begeisterung klingt anders, aber natürlich sind die Bayern gut beraten, sich öffentlich etwas bedeckt zu halten. Dennoch: Aus der "Zwei-Spiel-Lösung" Flick ist beim FC Bayern schon jetzt mehr geworden, warum also nicht noch mehr?
"Es geht nicht um meine Person. Es ehrt mich, dass ich das Vertrauen für die zwei Spiele bekommen habe. Der Verein hat jetzt Zeit, sich Gedanken zu machen", sagte Flick vor der Länderspielpause gegenüber "Sky" mit vermeintlicher Zurückhaltung. Doch warum sollten diese Gedanken nicht auch das Szenario "Flick als Dauerlösung" beinhalten? Denn was möchten Sie jemandem tatsächlich mitteilen, wenn Sie ihm sagen, er solle sich zu einem Thema "mal Gedanken machen". Richtig, er soll nachdenken und in ihrem Sinne entscheiden.