Bundespräsident Joachim Gauck fand während seines Besuchs in Chile für die Versäumnisse Deutschlands deutliche Worte. Es sei "erschreckend", wie viel Demokraten verdrängen und verschweigen konnten. Deutsche Diplomaten müssten aus diesen Versäumnissen lernen und sich immer "an die Seite der Opfer" stellen, befand Gauck.
Von Entschädigungszahlungen an die Opfer der Kolonie ohne Würde wollte der Bundespräsident allerdings nichts wissen. Stattdessen kündigte er die Bereitschaft der deutschen Regierung an, den Opfern psychosoziale Hilfe zu gewähren und die Finanzierung einer Gedenkstätte zu unterstützen.
"Es gibt kein Weg zurück"
Es ist tragisch, dass ausgerechnet Joachim Gauck die Bitten der Opfer ausschlägt. Als ehemaliger Bundesbeauftragter für die Unterlagen des DDR-Staatssicherheitsdienstes erhofften sich die Opfer von ihm die Anerkennung des ihnen widerfahrenen Unrechts. Als ehemaligem Pastor sahen sie in ihm einen Verbündeten bei ihrer Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit.
Sie wurden enttäuscht. Bis jetzt scheint die Bundesregierung nicht bereit zu sein, für die noch lebenden Opfer, die in den 60er Jahren als Kinder aus Deutschland in die Kolonie verschleppt wurden, eine symbolische finanzielle Entschädigung zu leisten und dadurch ihre Mitverantwortung für die in der Siedlung begangenen Menschenrechtsverletzungen anzuerkennen.
Doch die Opfer sollten sich von Gaucks Ablehnung nicht entmutigen lassen. Denn wie es bereits im Titel des beeindruckenden Films "Colonia Dignidad" von Regisseur Florian Gallenberger heißt: "Es gibt kein Weg zurück". Berlin weiß das. Im April hob Außenminister Frank-Walter Steinmeier eine Blockade auf und gab die Akten des Auswärtigen Amts der Jahre 1986 bis 1996 frei. Die Suche nach der Wahrheit geht also weiter.
Zur Wahrheit gehört unter anderem, dass der chilenische Geheimdienst "Dina" auf dem Gelände der Colonia ein Folterzentrum errichtet hatte, in dem hunderte von Regimegegnern des Diktators Augusto Pinochet gefoltert wurden. Dass die Deutschen die Folterer ausbildeten und selbst folterten. Und dass Bewohner, die der Schreckensherrschaft von Paul Schäfer entflohen, keinen Schutz bei der deutschen Botschaft in Chile fanden.
Falsche Rücksichtnahme
"Wenn alle Verbrechen der Colonia ans Licht kämen, gäbe es einen diplomatischen Konflikt zwischen Deutschland und Chile", sagte kürzlich Heike Kneese in einem Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit", das sie gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang Kneese führte. Diesem gelang 1966 als erstem Bewohner der Siedlung im Alter von 21 Jahren die Flucht. Seitdem kämpft er für die Rechte der Geschädigten.
Die Verbrechen der "Colonia Dignidad" müssen ungeachtet drohender diplomatischer Konflikte ans Licht kommen. Die deutsche und die chilenische Demokratie müssen das dunkle Kapitel ihrer Vergangenheit gemeinsam aufarbeiten, sie müssen die Verantwortlichen bestrafen und die Opfer entschädigen.
Niemand weiß das besser als Bundespräsident Gauck und Chiles Präsidentin Michelle Bachelet. Beide haben politische Willkür und Verfolgung in Unrechtsregimen am eigenen Leibe erfahren.
Mehr als 50 Jahre nach der Gründung der "Colonia Dignidad" ist die Zeit der politischen Komplizenschaft mit rechtsradikalen Auslandsdeutschen definitiv abgelaufen. Genauso wie die stillschweigende Unterstützung für Antikommunisten, die während des Kalten Krieges verheerende Auswirkungen hatte. Es gibt kein Weg zurück.
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