Es hatte sich in den vergangenen Tagen bereits angedeutet: Von hektischer Diplomatie zwischen Ankara und Berlin war zu hören, von zahleichen direkten Gesprächen, etwa zwischen Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) und seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavosoglu. Und, wie erst jetzt bekannt wurde, sogar direkt mit Präsident Recep Tayyip Erdogan in den zurückliegenden zehn Tagen. Ankaras Premier Binali Yildirim war gestern erst in Berlin, traf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und teilte im Interview mit dem deutschen Fernsehen mit, er wünsche sich eine Freilassung von Deniz Yücel. Ein Satz, der einen eigentlich sprachlos zurücklässt: Denn es war ja die türkische Regierung, die den deutschen Korrespondenten vor gut einem Jahr willkürlich verhaften ließ, ihn seither ohne Anklage in Haft hielt.
Aber erst einmal überwiegt natürlich die Freude. Deniz Yücel, für den sich ein Jahr lang tausende von Kollegen, Freunden und Angehörige in der Türkei und in Deutschland eingesetzt haben, hat das Gefängnis verlassen können. Die Staatsanwaltschaft fordert zwar eine Haftstrafe von 18 Jahren, aber dass das Gericht den Reporter auf freien Fuß setzt, spricht eine andere Sprache. Hoffentlich.
Die Türkei hat sich übernommen
Der Grund dafür ist natürlich kaum, dass sich der türkische Präsident Erdogan eines Besseren besonnen hat und künftig die Menschenrechte achten möchte. Und es handelt sich auch garantiert um keinen Sieg des Rechtstaats: Die Freilassung ist ebenso ein politischer Akt, wie die Festnahme vor gut zwölf Monaten einer war. Nein, der Grund ist wohl vielmehr: Die Türkei hat erkannt, dass sie in den vergangenen Monaten zu viele Konflikte vom Zaun gebrochen hat. Mit Deutschland wegen der Verhaftungen von deutschen Staatsbürgern, mit den unsäglichen Nazi-Vergleichen des türkischen Präsidenten. Und mit vielen anderen europäischen Ländern wegen ähnlicher Probleme, mit dem NATO-Partner USA wegen der Angriffe auf die Kurden in Syrien.
Die Inhaftierung von Deniz Yücel unter dem Vorwurf, Terroristen zu unterstützen, war die schwerste Belastung im deutsch-türkischen Verhältnis, und die scheint jetzt abgeräumt. Aber es muss daran erinnert werden, dass sich immer noch mehrere deutsche Staatsbürger in der Türkei hinter Gittern befinden, auch sie zumeist unter fadenscheinigen Beschuldigungen.
Erdogans Macht ist nicht unbegrenzt
Die wichtigste Botschaft - außer der Botschaft der Freiheit für den unschuldigen Deniz Yücel - ist vielleicht diese: Die Macht des erratischen Autokraten Erdogan kennt eben doch Grenzen - jedenfalls im Verhältnis zum Ausland. Wichtig wäre es deshalb, wenn vor allem die Bundesregierung, die jetzt noch geschäftsführende und vor allem die künftige, nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergeht im Verhältnis zu Ankara. Seit dem gescheiterten Putsch gegen Erdogan Mitte 2016 hat sich fast alles verändert: Die Lage der Menschenrechte in der Türkei ist mehr als prekär, eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union nicht nur deshalb nahezu ausgeschlossen. Deswegen: Vor allem bei Rüstungsgeschäften mit dem NATO-Partner Türkei muss Berlin künftig äußerste Zurückhaltung üben. Es gehört zu den eher dunklen Seiten der Bemühungen um die Freilassung Yücels, dass Sigmar Gabriel jedenfalls zeitweise eine Verknüpfung zu möglichen Waffengeschäften herzustellen versuchte.
Gabriels vielleicht letzte Chance
Trotzdem: Die Freilassung des Journalisten ist auch ein Erfolg für die Diplomatie des Auswärtigen Amtes und seines Chefs - Sigmar Gabriel, den in seiner Partei, der SPD, keiner mehr so richtig mag und der deshalb kaum Chancen hat, oberster deutscher Diplomtat bleiben zu können in einer neuen Großen Koalition. Bisher jedenfalls. Mit dem Coup, zu Yücels Freilassung beigetragen zu haben, steigen seine Chancen, das doch noch zu schaffen, natürlich beachtlich.
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