Vor einem Jahr hat die Europäische Union die Balkanroute für Migranten geschlossen und anschließend mit der Türkei vereinbart, neu ankommende Migranten und auch syrische Kriegsflüchtlinge von Griechenland in die Türkei zurück zu bringen. Der erwünschte Effekt trat schnell ein: Die Zahl der Ankommenden nahm drastisch ab. Den Schleusern wurde das Geschäft vermiest. Die gewollte Abschreckung funktioniert.
Die Außengrenze der EU im Südosten wird wieder "geschützt", wie das in zahlreichen Erklärungen der Staats- und Regierungschefs genannt wird. "Illegale Migration" soll unterbunden werden. Die Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland sowie zwischen Serbien und Ungarn war schon zuvor durch Zäune geschlossen worden. Der Plan ist aufgegangen.
Jetzt nur noch Italien abriegeln
Die "Festung Europa" funktioniert jedoch noch nicht zwischen Libyen und Italien. Auf dieser Route über das Mittelmeer kamen im vergangenen Jahr so viele Migranten wie nie zuvor in die EU. Diesen Weg wollen die EU-Staaten ebenfalls dicht machen. Auch das steht in zahlreichen Gipfelerklärungen. Auch hier setzt die EU auf Abschreckung.
Bislang wurden die Menschen aus den meist seeuntüchtigen Schlepperbooten von EU-Marine-Einheiten gerettet und nach Italien gebracht. Künftig sollen sie direkt nach Nordafrika zurückgeschoben werden oder besser noch von der Überfahrt abgehalten werden. Wenn dies gelingt, wäre die "Festung Europa" perfekt. Denn dann gäbe es praktisch keine Möglichkeit mehr für potenziell Asylsuchende, EU-Gebiet auf dem Land- oder Seeweg zu erreichen.
Asylrecht wird zur Farce
Dass die Versuche, in die EU einzureisen, allesamt illegal oder irregulär genannt werden, liegt an der Perversion des Asylrechts. Zwar ist es theoretisch möglich Asyl zu beantragen. Das geht aber nur, wenn ein Migrant den Boden der EU auch tatsächlich betritt. Verhindert man also durch sichere, geschlossene Außengrenzen die Einreise, dann kann das Recht auf Asyl auch niemand wahrnehmen. Legale Wege, die EU zu erreichen, gibt es für Verfolgte und Kriegsflüchtlinge nur in wenigen Ausnahmefällen.
Diese radikale Wende in der Flüchtlings- und Asylpolitik ist von den 28 EU-Staaten gewollt, beschlossen und verkündet. Darum darf man sich nicht wundern, dass der Europäische Gerichtshof am selben Strang zieht. Er hat die Praxis der nationalen Botschaften von EU-Staaten bestätigt, die legale Einreise für mögliche Asylbewerber zu verweigern. Humanitäre Visa zu diesem Zweck müssen nicht, können nur ausgestellt werden. Jeder EU-Staat entscheidet darüber selbst.
Daher gibt es auch keinen Grund, sich moralisch über die Ungarn zu entrüsten. Der ungarische Ministerpräsident führt aus seiner Sicht die EU-Migrationspolitik konsequent zu Ende. Die Internierung von Asylsuchenden, die Ungarn jetzt beschlossen hat, ist nach der 2013 beschlossenen EU-Richtlinie zu Asylverfahren möglich. Man kann dem fremdenfeindlichen Viktor Orbàn höchstens vorhalten, er nutze die Richtlinie unverhältnismäßig. In dem EU-Gesetz ist die Internierung als Ausnahme vorgesehen, nicht als Regel. Aber die Ausnahmeregeln sind so schwammig definiert, dass eine Klage gegen Ungarns neue Praxis wohl wenig Erfolgsaussichten hätte. Allerdings befinden sich Ungarn zurzeit nur 600 Asylsuchende. Eine lächerlich kleine Zahl, wenn man sich Italien, Griechenland, Österreich oder Deutschland anschaut.
Interniert wird längst nicht nur in Ungarn
Auch in den anderen EU-Staaten ist die Internierung, Inhaftierung und Festsetzung von Asylbewerbern während der Verfahren oder nach Erteilung eines ablehnenden Bescheids möglich. Und das wird auch gemacht. In Griechenland zum Beispiel werden die Migranten, die einen Asylantrag gestellt haben, seit dem Abkommen mit der Türkei gezwungen, auf den Ägäisinseln zu bleiben, und die sogenannten Anmeldezentren möglichst nicht zu verlassen.
In Italien will die neue Regierung mehr Asylsuchende auf Sizilien internieren, um sie besser abschieben zu können. Italien trägt zurzeit die Hauptlast bei den ankommenden Migranten. Deshalb zeigt man für diese Maßnahme in der EU durchaus Verständnis. Auch in Deutschland ist ein Festsetzen von Asylsuchenden schon lange möglich. Bislang wird beispielsweise in den Transitzonen von Flughäfen ein Schnellverfahren der Asylprüfung praktiziert. In den neuen Ankunftszentren in Grenznähe werden jetzt ebenfalls Schnellverfahren angewendet, die in nur 48 Stunden abgeschlossen sind. Solange dürfen die Migranten ihre Unterkünfte nicht verlassen.
Abschreckung ist das Ziel
Jeder EU-Staat legt die Asylverfahrensrichtlinie anders aus. Ungarn ist da kein Einzelfall, auch Polen wendet eine sehr restriktive Praxis an. Mutmaßliche Verstöße gegen die Richtlinie gibt es fast überall, liest man die einschlägigen Studien von Organisationen wie Pro Asyl, dem deutschen Anwaltsverein, der Caritas oder der Diakonie, also den kirchlichen Hilfswerken. Abschottung, Abweisung, Abschreckung sind in der EU längst politisches Ziel. Darin sind sich alle Staats- und Regierungschefs einig, Bundeskanzlerin Angela Merkel inklusive.
Bei der Verteilung der Lasten und der Migranten, die bereits da sind, ist man sich dagegen nicht einig. Da muss man Ungarn und anderen vorhalten, dass sie ihre Pflichten nicht wahrnehmen. Die vereinbarte EU-interne Umverteilung und Umsiedlung aus Griechenland oder Italien funktionieren nach wie vor nicht. Hier versagt die Festung Europa.
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