EU sollte mit Druck auf Türkei vorsichtig bleiben
15. Oktober 2019Mit Worten ist die Europäische Union schnell zur Hand. Der Einmarsch der Türkei in Nordsyrien und die Destabilisierung wurde von den Außenministern einhellig und scharf verurteilt. Mit den Taten war es dann nicht soweit her. Zu einem gemeinsamen Waffenembargo gegen die Türkei reichte es nicht. Es blieb bei der Aufforderung an die Mitgliedsstaaten, in Zukunft keine Waffen mehr an den vermeintlichen Aggressor zu verkaufen. Das wird die türkische Regierung im Moment praktisch kaum treffen.
Die Europäer versuchen eine schwierige Gratwanderung. Sie wollen einerseits die politische Moral hochhalten, andererseits aber dem Verbündeten, dem NATO-Partner Türkei, nicht allzu sehr schaden und den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht allzu sehr verärgern. Denn die Türkei, eine möglichst stabile Türkei, wird aus europäischer Sicht an der Südostflanke Europas gebraucht. Als Bollwerk gegen islamistische Terroristen, Migranten, den Iran und Russlands größer werdenden Einfluss.
Geschwächte Türkei nützt EU wenig
Niemand in der EU hat vor, die Türkei ernsthaft zu bestrafen. Die EU könnte der Türkei wirtschaftlich schweren Schaden zufügen, denn die türkische Wirtschaft ist auf die europäischen Kunden angewiesen. Wirtschaftssanktionen, wie sie die USA jetzt verhängen wollen, sind in weiter Ferne. Die Türkei ist nicht zuletzt Vertragspartner im sogenannten Flüchtlings-Deal von 2016, der dazu geführt hat, dass die Flüchtlingszahlen in Griechenland entscheidend zurückgegangen sind. Die EU ist hier auf die Türkei angewiesen. Das weiß Präsident Erdogan natürlich und droht deshalb regelmäßig mit einer Aufkündigung des Deals. Ist die EU damit erpressbar? Oder handelt sie realistisch, gemäß ihrer Interessen? Einer der Außenminister der EU, der alte Fuchs Jean Asselborn, hat das richtig so zusammengefasst: "Wir haben keine Armee. Die EU kann die Türkei nicht zwingen, den Konflikt in Syrien zu beenden."
Die Beziehungen zur Türkei sind ohnehin schon sehr angespannt. Die Beitrittsverhandlungen mit der EU stehen still. Der Schwenk Präsident Erdogans weg von der Demokratie und weg von Europa ist offensichtlich. Die EU sollte jetzt wenigstens verhindern, dass sich Erdogan noch weiter Russland und dem mit ihm verbündeten Iran annähert. Eine Türkei, die zwischen den Blöcken hin- und her pendelt, wird völlig unberechenbar.
NATO könnte in Krise geraten
Deshalb ist der Schlingerkurs, den der amerikanische Präsident Donald Trump in seinem Verhältnis zur Türkei fährt, für die EU sehr gefährlich. Erst erlaubte Trump Erdogan seinen Feldzug, indem er seine Truppen aus Syrien zurückzog und die verbündeten Kurden im Stich ließ. Wenige Tage später entschied Trump dann, die Türkei mit Wirtschaftssanktionen zu bestrafen. Dieses unüberlegte Vorgehen treibt nun einen Keil in die nordatlantische Allianz NATO - und die Türkei vermutlich weiter in Richtung Russland. Die USA werden nun auch von den übrigen NATO-Verbündeten verlangen, die Türkei mit Sanktionen zu belegen. Das ist aber keinesfalls im europäischen Interesse. Es ist schon absehbar, dass die Trump-Regierung nächste Woche beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel auf die europäischen Verbündeten Druck ausüben wird. Für Donald Trump wird die Tatsache, dass ihm die NATO nicht blind folgen wird, ein weiterer Beleg dafür sein, dass das Bündnis eigentlich überflüssig ist und die USA eher behindert.
Der Einmarsch der Türkei in Syrien kann also weitreichende Folgen auch für die Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, das Verhältnis zu den USA und Russland haben. Die Konsequenzen aus dem unmittelbaren Konflikt, unter dem die kurdischen Milizen und die Zivilbevölkerung in Nordsyrien zu leiden haben, zeichnen sich erst langsam ab. Die Welt wird für die Europäer wieder ein Stück instabiler und unübersichtlicher.