Nein, es ist schon lange kein Geheimnis mehr. Bereits kurz nach dem versuchten Putsch in der Türkei am 15. Juli 2016 wurde der türkische Geheimdienst MIT sehr aktiv, um "Feinde des Landes" auch außerhalb der Staatsgrenzen dingfest zu machen. Und ja, schon länger bekannt sind auch Vorwürfe gegenüber der türkischen Regierung, dass es geheime Gefängnisse geben soll, in denen Anhänger des Predigers Gülen systematisch gefoltert werden. Seit mehr als zwei Jahren kommen diese Gerüchte immer wieder hoch.
Was macht der Westen mit seinem Wissen?
Meldungen, dass wieder einmal Gülen-Unterstützer im Ausland festgenommen werden konnten, werden in türkischen Medien immer als Erfolg verkauft - die Regierung brüstet sich geradezu mit den Aktivitäten ihres Geheimdienstes. Und dass unabhängige Journalisten die Praktiken des türkischen Geheimdienstes recherchieren und entsprechende Hinweise verfolgen, ist unser Job. Wir können aber auch davon ausgehen, dass alles, was wir wissen, auch den großen Geheimdiensten des Westens längst bekannt ist.
Aber was folgt eigentlich aus diesem Wissen? Was tun die westlichen Länder, denen diese Praktiken offensichtlich bekannt sind? Die Antwort liegt auf der Hand: NICHTS!
Der NATO-Partner Türkei betreibt mutmaßlich Foltergefängnisse, entführt angebliche "Landesverräter" auf der ganzen Welt und der türkischen Geheimdienstes MIT agiert immer intensiver im Ausland. Doch anstatt klare Kante zu zeigen und diese Themen offen anzusprechen, setzt die Bundesregierung ihre "Diplomatie der ruhigen Hand" weiter fort.
Auch wenn die Wahrheit weh tut
Ein türkisches Sprichwort lautet: "Dost acı söylese de doğru söyler - Auch wenn ein Freund schmerzhafte Dinge sagt, wird er doch immer die Wahrheit sagen". Nach diesem Motto müssten eigentlich alle ausländischen Partner dem türkischen Präsidenten Erdogan die schmerzhafte Wahrheit sagen. Doch beschränken sie sich allein auf die Drohung, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union abgebrochen werden könnten - was man in Ankara mittlerweile als einen Treppenwitz empfindet. Denn solche Äußerungen spielen stets nur in die Hände Erdogans und seiner Anhänger - frei nach dem Motto: "Der Christenclub will uns ja ohnehin nicht!"
In der Türkei sind die schlimmsten Feinde des Landes die sogenannten "Vaterlandsverräter". Jene, die für den Putschversuch von 2016 verantwortlich sind, zu jagen und zu bekämpfen, ist mittlerweile zur Lebensaufgabe für den türkischen Staatspräsidenten geworden. Die Gülen-Bewegung und ihre Mitglieder sind eben die Staatsfeinde Nummer 1. Das sieht Erdogan als sein Totschlagargument an. In der Türkei selber wird dies mehr als nur akzeptiert. Aber das demokratische Ausland sieht dies selbstredend anders.
Die Diplomatie der ruhigen Hand reicht nicht
Es war der US-amerikanische Präsident Donald Trump, der in seiner brachialen, ruppigen Art gezeigt hat, wie mit Ankara umgegangen werden muss: Als die Aussicht auf Freilassung aus dem Gefängnis in der Türkei für den amerikanischen Prediger Andrew Brunson immer geringer wurde, reagierte Washington prompt. Denn Trump spricht eine Sprache, die auch Erdogan sofort versteht. Diese Sprache heißt: Druck auf die AKP-Regierung, Sanktionen gegen die Türkei und Zwangszölle auf Waren aus der Türkei. Die wirtschaftlichen Folgen des amerikanischen Vorgehens im vergangenen Sommer sind in der Türkei immer noch deutlich zu spüren.
Die Türkei muss endlich Farbe bekennen: Transparenz gegenüber seinen Partner im Westen an den Tag legen, die Foltergefängnisse schließen und allen Inhaftierten - auch den Gülen-Anhängern - rechtsstaatliche Standards einräumen. Anders kann es kein vertrauensvolles Verhältnis zum Westen geben - weder jetzt noch in Zukunft.