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Einwanderung fordert alle heraus

20. Juli 2015

Deutschland streitet über Einwanderung. Doch der Grund dafür ist nicht nur die wachsende Zahl an Flüchtlingen. Die deutsche Politik weigerte sich jahrelang, mit dem Thema konstruktiv umzugehen, meint Christoph Strack.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel im Dialog mit Jugendlichen (Foto: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck)
Bild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Ein Kind hat den Anstoß gegeben. Die vierzehnjährige Reem brachte mit der souveränen Schilderung ihres Flüchtlingsschicksals und ihrer ungewissen Zukunft Bundeskanzlerin Angela Merkel in Verlegenheit und die deutsche Debatte um Asyl und Einwanderung in Wallung.

In der Debatte prallen Lager aufeinander und kommen Themen zusammen. Mal geht es um Flüchtlinge, mal um Migranten. Mal geht es um europäische Vorgaben, mal um grundmenschliche Verpflichtungen, zu helfen. Oft geht es um europäische Kalamitäten im Schatten der großen Finanzdebatten. Und es zeigt sich, dass Deutschland, dieses boomende Wirtschaftsland mit einem demographischen Problem, zwar auf Migranten oder Flüchtlinge angewiesen ist, aber nach wie vor keinen nachhaltigen Ansatz hat.

Viele Reformen, wenig Erfolge

Bis 2004 gab es für einige Jahre in Deutschland eine "Greencard", mit der insgesamt gerade einmal 13.000 ausländische Arbeitskräfte Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt fanden. Dann trat Anfang 2005 das (rot-grüne) "Zuwanderungsbegrenzungsgesetz" in Kraft, das bereits 2007 von schwarz-rot reformiert wurde. Und erst vor der jetzigen Sommerpause reformierte zuletzt der Bundestag das Aufenthaltsrecht. Demnach können Ausländer, die bislang nur geduldet sind und in Ungewissheit leben, auf Dauer in Deutschland bleiben, wenn sie die deutsche Sprache beherrschen und ihren Lebensunterhalt sichern können. Einer Reem und ihrer Familie könnte das schon helfen. Aber klar ist auch, dass zum Status der Duldung immer eine Zeit der Unsicherheit gehört.

Zudem gibt es heute im EU-System eine "Blue Card", mit der Mitgliedstaaten Hochqualifizierten einen Aufenthalt erlauben können. Deutschland macht zur Bedingung für diese "Blue Card" jährliche Einkünfte von mindestens 48.400 Euro, was nicht viele Berufsanfänger erreichen werden.

Christoph Strack (Foto: DW)
DW-Redakteur Christoph StrackBild: DW

"Unwort" Einwanderung

Aus all dem spricht: Deutschland muss zwar ein Einwanderungsland sein, um wirtschaftlich auf der Höhe zu bleiben. Aber sage - so die Politik - niemand laut "Einwanderung". Gewiss, CDU-Generalsekretär Peter Tauber drängt auf ein Einwanderungsgesetz. Gewiss, auch der Bundespräsident wirbt gelegentlich für mehr Einwanderung. Und die Sozialdemokraten fordern dies auch laut und deutlich (auch schon deshalb, weil man die CDU da mal wieder verbal ärgern kann, ohne dass es etwas kostet).

Ehrliche Debatte nötig

Nun sagen sie alle zwar das Gleiche, aber meinen vermutlich nicht dasselbe. Deutschland muss sich ehrlicher machen. Beim Thema Einwanderung und beim Thema Asyl. Denn die kriegerischen Entwicklungen in Syrien, dem Irak und Libyen werden noch mehr Menschen nach Europa treiben. Und noch mehr Afrikaner werden den Weg nach Europa suchen auf der Flucht vor staatlicher Gewalt und in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Niemand weiß, wie lange die Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland bleiben, wann sie, ob sie wieder zurückkehren werden. Doch zugleich kann es nicht sein, dass Zigtausende aus jenen Balkanstaaten, die EU-Beitrittskandidaten sind oder kurz davor stehen, als Asylbewerber in Deutschland sind und ihre aussichtslosen Verfahren viele Monate dauern.

Ja, es gibt in Deutschland Übergriffe auf Flüchtlingseinrichtungen, es kommt zu hässlichen fremdenfeindlichen Demonstrationen, manchmal werden dumpfe politische Parolen laut. Aber auf der anderen Seite steht wunderbares, oft ehrenamtliches Engagement. In kleinen Dörfern genauso wie in großen Städten. Das wird selten bekannt und macht dieses Land doch reich.

Integration ist keine lästige Pflicht

In Sachsen dauerte es viele Wochen, bis die politisch Verantwortlichen fremdenfeindlichen Übergriffen und Tönen entschieden genug entgegentraten. Das ermutigt zur Ausgrenzung. Nun kommen ähnlich schräge Töne aus Bayern. Doch Politik darf nicht ausgrenzen. Und sie muss daran erinnern, dass die Aufnahme von Flüchtlingen, die Integration und das Miteinander Bereicherung darstellt, aber auch Arbeit und Anstrengung bedeuten. Auf Seiten der Flüchtlinge, der aufnehmenden Gesellschaft, der Politik. Deutschland und Europa stehen vor einer gewaltigen Aufgabe. Die Politik darf sich nicht länger weigern, mit dem Thema konstruktiv umzugehen und Integration nicht als lästige Pflicht zu sehen.