1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Druck auf "letzte Europäerin" steigt

9. Mai 2016

Angela Merkel gilt als treibende Kraft hinter dem Flüchtlingsdeal der EU mit der Türkei. Wenn der scheitert, gerät die Kanzlerin unter massiven Druck und könnte auch in der CDU ersetzbar scheinen, meint Christoph Strack.

https://p.dw.com/p/1IkfQ
Angela Merkel +++ (C) picture-alliance/dpa/K. Nietfeld
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Es war im März so etwas wie die Rettungsgasse für die deutsche Kanzlerin. Der sogenannte Flüchtlings-Deal der EU mit der Türkei sorgte für einen Ausweg aus einer schier ausweglosen politischen Situation. Aber er forderte Angela Merkel manchen Preis ab. Erdogans politische Pöbeleien gegen Europa, die Führungskrise, die Missachtung der Presse- und Meinungsfreiheit, auch die Böhmermann-Affäre.

So wirft das bevorstehende Scheitern des Abkommens mit der Türkei auch Merkel weit zurück. Denn sie gilt als wesentliche Kraft hinter der Vereinbarung mit Ankara. Und es ist auch ein Abschieben, wenn ihr Sprecher nun darauf verweist, dass der Verhandlungspartner der türkischen Führung für die weitere Umsetzung die Europäische Kommission sei. Wenn er dann nachschiebt, man habe "guten Grund, weiter auf diese Umsetzung zu setzen" - dann hört man auch das leise Pfeifen im europäischen Walde.

Trotz des zähen, mit Kopfschmerzen verbundenen Entstehungsprozesses des EU-Türkei-Deals - in den vergangenen Monaten spielte die Zeit der Bundeskanzlerin faktisch gut mit. Zunächst war es das Vorgehen Österreichs und der Westbalkan-Länder, die Grenzen abzuriegeln. Dann kam die türkische Bereitschaft hinzu, Flüchtlinge zurückzunehmen und entweder heim- oder - sollten sie vor dem Bürgerkrieg in ihrer syrischen Heimat geflohen sein - in ein Aufnahmeland der Europäischen Union zu schicken. Doch ansonsten bleibt viel Stillstand in Europa, von mittel- und osteuropäischen Blockadehaltungen bis hin zur Resignation im Süden. Die Verunsicherung wächst, wie auch der Rücktritt des österreichischen Kanzlers Werner Faymann zeigt. Dessen Entscheidung zeigt nicht nur den Sozialdemokraten in Wien und Berlin die Dramatik der aktuellen politischen Lage.

Christoph Strack Foto: DW
DW-Korrespondent Christoph StrackBild: DW

Längst hat Merkel eine besondere Rolle in Europa. Sie steht für eine früh von ihr benannte und des öfteren erinnerte Vision von Europa ("Wir sind zu unserem Glück vereint"). Kein anderer Regierungschef in Europa ist so lange im Amt wie sie. "Europa zusammenhalten" - das ist ihr Motto.

Wenn es um die "letzten Europäer" geht, wird sie rasch genannt. Zu Recht, denn bislang übertönte ihre klare Haltung in der Flüchtlingsfrage und ihr Drängen auf einen gemeinsamen europäischen Kurs die erst leise gehauchten, nun aber lauter werdenden Fragen. Die Kanzlerin ist dafür bekannt, dass sie nicht klagt über Vergangenes, sondern stets pragmatisch auf den nächsten möglichen Schritt schaut und daran arbeitet. Doch die Spannung - und auch der Druck - werden größer: Jetzt eine europäische Idee wiederzubeleben und zugleich einen verantwortlichen Weg mit den Menschen auf der Flucht zu gehen.

Die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer, enge Weggefährtin Merkels im CDU-Präsidium, formulierte am Wochenende eine Binsenweisheit. "Niemand ist unersetzlich auf dieser Welt. Auch nicht in der CDU und auch nicht Angela Merkel. Das weiß niemand besser als sie selbst", sagte sie der "Bild am Sonntag". Die Saarländerin ist als Putschistin wahrlich unverdächtig. Aber bei einem Scheitern des EU-Türkei-Deals und dem nächsten großen Krach werden sich andere in der Union, längst nicht mehr nur in der CSU, an diese Binsenweisheit erinnern.