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Politik

Die Verfassungssch(m)utz-Reform

Marcel Fürstenau3. Juli 2015

Der deutsche Inlandsgeheimdienst hat ein stabileres Fundament erhalten. Die Tragfähigkeit des neuen Gesetzes könnte sich an manchen Stellen trotzdem als zu schwach erweisen, vermutet Marcel Fürstenau.

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"Quellschutz vor Strafverfolgung" - mit diesen Worten äußern Demonstranten am Rande des NSU-Prozesses ihre Kriik am Verfasungsschutz - Foto: Marcel Fürstenau (DW)
Bild: DW/M. Fürstenau

Es ist und bleibt ein schmutziges Geschäft, aber ein notwendiges. Um die freiheitlich-demokratische Grundordnung bestmöglich zu schützen, sind geheim agierende Verfassungsschützer nötig. Ohne sie wüsste der Staat nicht einmal ansatzweise, welchen Gefahren Land und Leute ausgesetzt sind. Die Gefahr hat viele Fratzen: die des religiösen Fanatikers, des politischen Extremisten, des organisierten Kriminellen. Sie alle bedrohen potenziell das friedliche Zusammenleben der Menschen in Deutschland. Sich dagegen zu wehren, ist eine Fürsorgepflicht des Staates. Zu diesem Zweck verfügt er über das Gewaltmonopol.

Die nun vom Bundestag beschlossene Reform des Verfassungsschutzes wäre kaum nötig gewesen, wenn die Bundes- und Landesämter ihre Arbeit verantwortungsvoll erledigt hätten. Das aber haben sie vor allem in einem Fall nicht: beim Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Die rechtsextremistische Terrorgruppe, die für zehn Morde verantwortlich sein soll, entstand unter den Augen des Verfassungsschutzes. Parlamentarische Untersuchungsausschüsse haben dem Staat deshalb zu Recht Totalversagen bescheinigt. Der Vorwurf bezog sich - zum Glück - nicht auf eine unmittelbare Tatbeteiligung.

Das größte Lob gebührt den NSU-Untersuchungsausschüssen

Aber der Befund war auch so erschreckend: schwere Mängel und Fehler beim Informationsaustausch, in der Analysefähigkeit, bei der Mitarbeiterauswahl und Prioritätensetzung. Nun soll alles besser werden. Den Anstoß dazu gab der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, der die vielen Schwachstellen des Verfassungsschutzes schonungslos aufdeckte. Womit das Gremium zugleich eindrucksvoll bewies, wie wirksam parlamentarische Kontrolle mitunter sein kann.

Durch die jetzt auf den Weg gebrachte Reform sollen die Dienste von Bund und Ländern enger zusammenarbeiten und dem Einsatz von V-Leuten - also Mitgliedern einer Szene, die dem Inlandsgeheimdienst regelmäßig Informationen liefern - werden Grenzen gesetzt. Der ganz große Wurf ist dem Gesetzgeber trotzdem nicht gelungen.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Deutsche Welle: Marcel FürstenauBild: DW

 

Positiv ist die Pflicht zum gegenseitigen und unverzüglichen Austausch relevanter Informationen, "einschließlich der Erkenntnisse ihrer Auswertungen". Dem Bundesamt für Verfassungsschutz fällt dabei die Rolle einer Zentralstelle zu. Das ist gut so, weil damit fürchterliche Pannen wie im Zusammenhang mit dem NSU hoffentlich vermieden werden können. Erkenntnisse über das mutmaßliche Mörder-Trio gab es nämlich durchaus, nur waren sie nicht allen bekannt. Dadurch blieben die Untergetauchten 13 Jahre unentdeckt und die Polizei stocherte im Dunkeln. Als wirksam dürfte sich zudem die Nutzung gemeinsamer Dateien erweisen. Auch daran haperte es in der Vergangenheit.

Verbessert wurden auch Regelungen, die für den Umgang mit Akten gelten. Der war zuweilen sehr leger, in Einzelfällen sogar skandalös. Einige Akten mit NSU-Bezug landeten 2013 wenige Tage nach dem Auffliegen der Terrorgruppe im Reißwolf. Die Vermutung, es sollte etwas vertuscht werden, war geradezu zwingend. Einem schlimmeren Verdacht kann sich eine für die Gefahrenabwehr zuständige Behörde kaum aussetzen.

Größter Schwachpunkt bleibt der Umgang mit V-Leuten

Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Verfassungsschutzes werden aber auch aus einem anderen Grund bleiben: wenn Akten unter Verweis auf den Quellenschutz unter Verschluss bleiben. Das wird weiterhin möglich sein, auch wenn es um die Aufklärung schwerster Verbrechen geht. Die verheerende Wirkung dieser Praxis kann man seit zwei Jahren beim NSU-Prozess in München beobachten. Über die Rolle zwielichtiger Verfassungsschützer und der von ihnen geführten V-Leute kursieren die schlimmsten Gerüchte. Unerträglich ist das vor allem für die Opfer-Angehörigen. Sie werfen dem Staat vor, die Täter zu schützen. Den Beweis des Gegenteils könnten nur die Innenministerien liefern. Sie führen die Rechtsaufsicht über den Verfassungsschutz. Doch so weit geht das neue Gesetz leider nicht.

Immerhin wird es in Zukunft keine V-Leute mehr geben, die aus dem Knast kommen. Ein solcher war "Piatto", den das Brandenburger Landesamt für Verfassungsschutz von 1994 bis 2000 in der rechten Szene einsetzte. Der Mann war wegen versuchten Totschlags an einem Nigerianer zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Trotzdem sollte er als Freigänger Informationen aus dem Nazi-Milieu liefern. Die Hoffnung, mit seiner Hilfe das flüchtige NSU-Trio aufzuspüren, blieb unerfüllt. Warum die Mission scheiterte, ist eine der spannendsten Fragen im NSU-Prozess. Sie wird unbeantwortet bleiben. Mit einer weitergehenden Reform des Verfassungsschutzes wäre mehr Aufklärung möglich. Nicht nur im Fall "Piatto".

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