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Die Mutter aller Sanktionen

Christian F. Trippe24. Juli 2014

Die Europäische Union prüft, ob sie ein Waffenembargo gegen Russland verhängen soll. Die Entscheidung fällt viel zu spät und wirkt heuchlerisch - meint Christian F. Trippe.

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Symbolbild Verhältnis EU Russland
Bild: imago/Rainer Unkel

Als Europas Außenminister am Dienstag (24.7.) mit einigem Stolz verkündeten, nun werde die Verhängung eines EU-weiten Waffenembargos gegen Russland geprüft, waren viele in Brüssel leidlich erstaunt. Gibt es das nicht schon längst? Wieso erst jetzt? Nein, das gibt's in der Tat noch nicht. Und "besser spät als nie" mag jetzt nur denken, wer ansonsten keine Hintergedanken hegt beim Thema Waffenexporte.

Lautstark erhoben wurde die Forderung von den Vertretern jener Länder, die überhaupt keine Rüstungsgeschäfte mit Russland machen - von Schweden und von Österreich zum Beispiel. Doch auch Großbritanniens Premier David Cameron meldete sich aus London, plädierte für einen sofortigen Lieferstopp und attackierte die Regierung in Paris. Denn Frankreich baut derzeit für die russische Kriegsmarine zwei hochmoderne Hubschrauberträger der sogenannten "Mistral"-Klasse. Das sind Schiffe, die zu amphibischen Operationen fähig sind, zum überraschenden Angriff von See aus.

Davon fühlt sich Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite persönlich und stellvertretend für alle baltischen Nachbarn bedroht. Sie warnt vor einer "Mistralisierung" der Politik in Europa. Doch ihren Kollegen Francois Hollande in Paris lässt das kalt. Er will das erste "Mistral"-Schiff noch im Herbst ausliefern lassen, Russland habe es schließlich bezahlt. Das Auftragsvolumen insgesamt liegt bei stolzen 1,2 Milliarden Euro.

Rhetorik und Realität

Spätestens hier lohnt ein genauerer Blick auf das geplante EU-Waffenembargo: Es soll nämlich nur für Neu-Verträge gelten, nicht aber für Geschäfte, die bereits in der Abwicklungsphase sind. Demnach wäre die Lieferung des ersten "Mistral"-Trägers von einem Embargo gar nicht betroffen. Immerhin verschwenden somit die 400 russischen Marinesoldaten, die derzeit im französischen Saint-Nazaire auf der "Mistral" eingewiesen werden, ihre Zeit nicht.

Vollends zur Farce geriet die EU-Debatte um ein Embargo für Rüstungsgüter, als bekannt wurde, dass Großbritannien munter weiter Waffen nach Russland liefert - der hehren Rhetorik der Regierung Cameron zum Trotz. Britische Medien berichten, vor allem Ausrüstung und Gewehre für Spezialeinheiten stünden auf den russischen Bestellscheinen. Rund 250 Ausfuhrgenehmigungen seien erteilt, lediglich 31 Export-Lizenzen im Frühjahr widerrufen worden.

01.2012 DW Europa aktuell Moderator Christian Trippe
Christian F. Trippe, Leiter DW-Studio Brüssel

"Staat heißt das kälteste aller kalten Ungeheuer", lässt Friedrich Nietzsche seinen Zarathustra sagen. Der Philosoph kann dabei zwar noch keine Rüstungsexporte im Sinn gehabt haben, doch auch heutzutage wird niemand Moral im staatlich lizensierten Waffenhandel erwarten. Beileibe nicht nur Zyniker quittieren den gelegentlichen Hang reputierter Staaten zu eher unappetitlichen Geschäften meist mit einem Achselzucken.

Diesmal sollten die Europäer aber genauer hinschauen - nicht um ihre Empörung sarkastisch zu zelebrieren, sondern um das leidige Waffenthema pragmatisch abzuräumen. Ein Waffenembargo gegen Russland muss her, und zwar umfassend und so schnell wie möglich. Ein Waffenembargo wäre die Mutter aller Sanktionen. Ohne Waffenembargo werden deutsche Mittelständler, italienische Handelshäuser und britische Immobilienentwickler kaum verstehen, warum ausgerechnet ihre zivilen Unternehmen keine Geschäfte mehr mit Russland machen sollen.

Sogar für die beiden "Mistral"-Schiffe gibt es bereits eine Idee: Die EU könnte die beiden Pötte kaufen und ihrer Grenzschutz-Truppe "Frontex" zur Verfügung stellen, zum Einsatz im Mittelmeer. Den Schiffsbauern in Frankreich ist es letztlich egal, ob vom "Mistral"-Deck Kampfhubschrauber oder Rettungsflieger starten.