Es war klar, dass sie ihn nicht in Ruhe lassen werden. Die Paparazzi waren längst in Stellung gegangen, als Joachim Löw am Samstagmorgen um kurz vor neun Uhr in der Freiburger Altstadt mit seinem Oldtimer-Cabriolet, ein Mercedes-Benz 280 SL Pagode in schwarz, vorfuhr. Während der Bundestrainer mit Sonnenbrille, weißem Shirt und Zigarette im "Café Auszeit" (ja, das heißt tatsächlich so) platznahm und vor der Linse des Fotografen stilvoll sinnierte, funkelte sein Wagen frisch poliert am Straßenrand. Das Cabrio aus den 60er Jahren wird unter Liebhabern derzeit für weit über 100.000 Euro gehandelt. Ein Klassiker. Einer, der irgendwie nie aus der Mode kommt. Wie passend.
Der Beste, den Deutschland hat?
Die Analogie zu seinem betagten Auto mag profan sein, aber sie trifft zu. Der Glanz vergangener Tage schmückt ihn. Doch dann: Ein Stottern des in die Jahre gekommenen (Mittelfeld-)Motors. Offenkundige Defekte in allen (Mannschafts-)Teilen. Fehlentscheidungen am Steuer. Mit einem Totalschaden bereits kurz nach dem Start der Russland-Rallye liegen geblieben. Und damit eigentlich nach Meinung vieler Experten nicht mehr konkurrenzfähig. Aber: Der Wagen ist eben ein liebgewonnener Klassiker - und vermeintlich der Beste, den man hat.
In anderen Worten: Joachim Löw bleibt deutscher Bundestrainer, wie der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bestätigte. Die Entscheidung kommt nach Tagen des Bittens, Bettelns und Bekniens durch zahllose Vertreter des deutschen Fußballs nicht mehr überraschend. Alle wollten Löw - obwohl dieser gerade versagt hatte und dafür eigentlich auch "als Trainer in der Verantwortung" stehe. Dass Löw daraus ableitet, auch am Tiefpunkt weiterzumachen und selbst den Karren aus dem Dreck ziehen zu wollen, verdient ebenso Respekt wie seine Erfolgsbilanz bis zur WM in Russland. Löw hätte 2014 als strahlender Weltmeister gehen können - Mission accomplished. Löw hätte 2018 als Verantwortlicher des grandiosen Fehlschlags gehen können - Rückgrat gezeigt. Löw bleibt. Und das hat vor allem damit zu tun, dass beim DFB niemand eine andere Idee hat.
Die deutsche Nationalelf verschläft eine Entwicklung
Es gab und gibt keinen Plan B zu Löw im mit mehr als sieben Millionen Mitgliedern größten Sportfachverband der Welt. Das Land ist reich an talentierten und erfahrenen Trainern. Doch mit keinem der infrage kommenden Kandidaten hatte man offenbar einen möglichen Wechsel erfolgreich ausgelotet, was im Profifußball eigentlich zum Tagesgeschäft gehört. Ralf Rangnick oder Matthias Sammer hätten mit ihren Konzepten den deutschen Fußball modernisieren können. Und natürlich werden Jürgen Klopp, Thomas Tuchel oder Julian Nagelsmann hervorragend von ihren Klubs bezahlt und haben laufende Verträge. Aber kann das für einen reichen Verband wie den DFB wirklich ein unüberwindbares Hindernis sein?
Was bedeutet es also, wenn DFB-Präsident Reinhard Grindel von "tiefgreifenden Veränderungen" und einem "Umbruch" spricht und herauskommt ein "weiter so"? Nichts Gutes. Denn es ist offensichtlich, dass der DFB derzeit Veränderungen scheut, an Altbewährtem festklammert, während um ihn herum der Fußball sich wandelt. Löws von Spanien inspirierter Ballbesitzfußball hat ausgedient, das zeigt das frühzeitige Aus nahezu sämtlicher Vertreter dieser Fußball-Philosophie. Ganze zwei magere Tore erzielten die DFB-Stars, kein Team traf seltener bei der WM und kein anderer Teilnehmer hatte eine schwächere Chancenverwertung. Dass längst Teams brillieren, die schnellen, schnörkellosen Konterfußball ohne viel Ballbesitz und lange Pass-Stafetten spielen, ist anscheinend niemandem unter den DFB-Verantwortlichen aufgefallen.
Der DFB hofft auf Veränderung ohne Veränderung
Dass Löw den Bundestrainer-Job behalten will, dessen Vorzüge und Aufmerksamkeit er seit zwölf Jahren genießt, ist völlig verständlich. Dass er versuchen will, mit einem Erfolg abzutreten, ebenfalls. Dass der DFB nach dem blamablen WM-Ausscheiden aus angeblichem Mangel an Alternativen mit den Schultern zuckt und auf Veränderung ohne Veränderung hofft, ist ein Armutszeugnis. Wie die CDU bei Bundeskanzlerin Angela Merkel, so scheut auch der DFB den Sturz des Königs (bzw. der Königin) - trotz einer langen Phase des Misserfolgs und Niedergangs. Deutschland, ein Land des 'Weiter so'.
Sie können unterhalb dieses Artikels einen themenbezogenen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!