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Der Wendehals

Georg Matthes Kommentarbild App PROVISORISCH
Georg Matthes
28. Oktober 2015

Vergleiche von Menschen mit der Tierwelt sind oft unpräzise. Doch in der Flüchtlingskrise drängt sich eine Parallele auf: Der ungarische Regierungschef Orban führt sich auf wie ein Wendehals, meint Georg Matthes.

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Deutschland Vogel Wendehals
Bild: Imago/blickwinkel

Er spreizt in Erregungssituationen sein Gefieder. Er ist streng territorial und verteidigt sein Brutgebiet akustisch recht auffällig. Ruckartig und häufig wechselt er dabei seinen Blickwinkel. Wer den Vergleich mit der Vogelwelt sucht, findet für den ungarischen Regierungschef Viktor Orban derzeit kein schöneres Pendant als den Wendehals, eine graubraune Spechtart.

Vom Vertragsverletzer zum einzig Vertragstreuen

Vorbei sind die Zeiten, als der national-konservative Regierungschef mit hängenden Flügeln in die europäische Hauptstadt geflogen kam und scherzhaft vom Präsidenten der EU-Kommission Juncker als "Diktator" begrüßt wurde. Nein, Viktor Orban fällt derzeit nicht durch regelwidrige Mediengesetze, Justizreformen oder gar dem Ruf nach der Todesstrafe auf. Er muss auch nicht mit Vertragsverletzungsverfahren zur Räson gerufen werden. Viktor Orban erinnert seine Amtskollegen jetzt selbst an vereinbartes Regelwerk: Er hat sich zum Hüter der Dublin-Verträge, dem gemeinsamen Asylverfahren in der EU, aufgeschwungen und fliegt mit stolz geschwellter Brust nach Brüssel. Sein Zaun sichert die EU-Außengrenze zu Serbien und die Grenze des sogenannten Schengen-Raums zu Kroatien, so wie vereinbart. Nur wer sich an der Grenze registrieren lässt und ein Asylverfahren in Ungarn durchläuft, kommt ins Land. Soweit, so regelgetreu.

Doch das war nicht immer so. Wie andere EU-Staaten auch hat Ungarn Migranten bis vor kurzem einfach durchgewunken. Der Sinneswandel erfolgte erst, als Viktor Orban einen politischen Zweck darin erkannte und gleich dem Wendehals seine Meinung änderte. Er wusste genau, dass der plötzliche Bau eines Grenzzauns einen Flüchtlingsstau auf dem Balkan verursachen würde und davon konnte er nur profitieren. Innenpolitisch bremste er so die steigenden Umfragewerte der rechtsradikalen Oppositionspartei Jobbik aus, der zweitstärksten politischen Kraft in Ungarn. Nach einer scharfen Propagandakampagne gegen Einwanderer konnte sich Orbans Partei Fidesz mit dem Zaunbau als Retter ungarischer Werte, als schlagkräftige Regierungspartei verkaufen. Zudem stärkte Orban mit diesem Schachzug auch die nationalkonservative Opposition kurz vor den Parlamentswahlen im sozialdemokratisch regierten Nachbarland Kroatien. Das perfide an dieser Taktik ist, dass die Leidtragenden Flüchtlinge aus einem Kriegsgebiet sind. Hätte sich Orban mit den EU-Partnern abgestimmt, wäre die Krise in dieser Form ausgeblieben. Denn einen besseren Schutz der Außengrenzen wünscht sich auch die deutsche Kanzlerin.

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Georg Matthes ist DW-Korrespondent in Brüssel

Ein selbstgelegtes Ei

Sicher, auch Angela Merkel ist nicht immer eine sanfte Taube. Mit der Entscheidung Flüchtlinge aus Syrien unter ihre Fittiche zu nehmen, hat sie viele europäische Partner vor den Kopf gestoßen und den Flüchtlingsstrom noch einmal verstärkt. Sie muss sich zudem vorwerfen lassen, den Ruf des EU-Parlaments und der EU-Kommission nach einer Reform der Dublin-Regeln über Jahre hinweg ignoriert zu haben. So wie viele andere EU-Länder lehnte Deutschland einen Solidaritätsmechanismus in der europäischen Asylpolitik stets ab.

Das problematische Ei hat sich die EU selbst gelegt und alle müssen jetzt Federn lassen. Die bestehende Regel, dass Flüchtlinge nur dort Asylanträge stellen dürfen, wo sie zuerst EU-Boden betreten haben, ist jedenfalls nicht mehr umsetzbar. Stattdessen müssen Flüchtlinge gerecht verteilt werden. Vor allem die Sturköpfe in der EU, die Vertreter der sogenannten Visegrád-Gruppe müssen das endlich einsehen. Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Polen schauen mitten in der Krise einfach weg. Da überrascht es nicht wirklich, dass die vier Länder das Hauptbrutgebiet des Wendehalses in Europa bilden.