Kommentar: Der schöne Schein
8. Februar 2014Inmitten des Getöses, der aufwändigen Lasershow und bunter Projektionen fiel plötzlich lautlos Schnee herab. Die 40.000 Zuschauer im Olympiastadion von Sotschi staunten nicht schlecht: Pünktlich zur großen Eröffnungsfeier schneite es, das perfekte Olympia-Wintermärchen. Hat der clevere Präsident Putin auch noch einen Deal mit Petrus abgeschlossen? Nein, es schneite auf Knopfdruck künstlich vom Stadiondach. Alles für den schönen Schein, wie so vieles in Sotschi.
Sotschi, das ist der neue Stolz Putins. Die Schwarzmeer-Metropole mit ihren vielen pompösen Neubauten, die suggerieren sollen: Russland kann alles, auch ein tristes Marschland in das Zentrum der Sportwelt verwandeln. "Früher gab es hier nichts als Bienenzüchter", tönte Putin kürzlich im russischen Staatsfernsehen, "dann habe ich mit dem Finger auf diesen Ort gezeigt". Die Botschaft: Sein Fingerzeig genügt. Wladimir Wladimirowitsch Putin, der Allmächtige.
Das IOC steht unter öffentlichem Druck
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) zeigt sich tief beeindruckt. "Was anderswo Jahrzehnte gedauert hat, wurde hier in nur sieben Jahren realisiert", lobte IOC-Präsident Thomas Bach während der Eröffnungsfeier die Gastgeber. Man ist sich einig, schließlich verfolgt man gemeinsame geschäftliche Interessen: Die Spiele sollen beiden Milliarden bringen, Einnahmen, auf die das IOC angewiesen ist. Da versteht es sich ja von selbst, dass man den Gastgeber besser nicht kritisiert.
Umso erstaunlicher war, dass Thomas Bach genau dies während seiner Eröffnungsrede tat, wenn auch nur indirekt und diplomatisch formuliert: Der Sport stehe für "Respekt und gegen jede Form von Diskriminierung", sagte der Weltsportchef mit Blick auf die gegen Homosexuelle gerichteten Gesetze in Russland. Außerdem dankte er den Arbeitern Sotschis für ihre Arbeit "in manchmal schwierigen Bedingungen" und spielte damit offenbar auf die vielkritisierte schlechte Behandlung der Gastarbeiter auf den Olympiabaustellen an. Die Tatsache, dass Bach solche Passagen in seine Eröffnungsrede integrierte, zeigt, wie groß der öffentliche Druck auf das IOC ist.
Der Sport verkauft sich derzeit gern an den Meistbietenden
Denn die Liste der Kritikpunkte an diesen Olympischen Spielen ist so lang wie Sotschi selbst, bekanntlich die längste Stadt des Kontinents. Neben von Putin befeuerter Homophobie und der Ausbeutung der Gastarbeiter erfuhr die Öffentlichkeit auch von Umweltverschmutzungen und Zwangsumsiedlungen, um Platz zu schaffen für die olympischen Sportstätten. Und laut Human Rights Watch gab es Verhaftungen und Einschüchterungen von Kritikern der Spiele. All das für nur 16 Tage Winter-Wettkämpfe? Fast könnte man über diese Absurdität lachen - wenn die Sache nicht so ernst wäre.
Der Sport habe mit all diesen Begleitumständen nichts zu tun, behaupten Heerscharen von Sportfunktionären, sowohl bei der FIFA im Fall Katar als auch beim IOC in Sachen Sotschi. Sie liegen falsch. Der Sport ist hochpolitisch, ein Machtinstrument, ein Propagandamittel, wie Putin uns mit seiner prunkvollen Eröffnungs-Show demonstrierte. Längst sind Sport und Politik voneinander abhängig. Politiker wie Putin brauchen die Strahlkraft des Sports und Sportverbände wie das IOC die Milliarden-Investitionen in Sportförderung und Sportstättenbau. Nur allzu gern versteigert der Sport derzeit seine Premium-Events an den Meistbietenden. Und das ist eben nicht immer ein lupenreiner Demokrat.
Wie gerne lassen wir uns blenden
Mit dem Beginn der Wettkämpfe treten all diese Dinge wieder in den Hintergrund. Was jetzt zählt, sind Medaillen, Hundertstelsekunden, Jurypunkte und Schießfehler. Es geht um Freudentränen der Sieger, Enttäuschung der Verlierer. Die Athleten werden sie schon liefern, die Bilder der großen Emotionen. Wie gerne lassen wir uns doch davon blenden. Der schöne Schein Sotschis, er wird funktionieren.