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Der entfremdete Maestro

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
28. September 2017

Carlo Ancelotti muss beim FC Bayern seinen Hut nehmen. Nicht so sehr wegen der Ergebnisse, meint DW-Sportredakteur Joscha Weber. Das Problem ist ein anderes: Weder sein Team noch die Klubführung konnte er überzeugen.

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Bild: picture-alliance/empics

Immer tiefer rutschte Carlo Ancelotti in den blauen Ledersessel am Rande des Spielfelds. Die Bestuhlung der Bank bei Paris Saint-Germain ist so exklusiv wie der millionenschwere PSG-Kader und doch schien sie dem Bayern-Trainer reichlich unbequem. Den Oberkörper an die Lehne gepresst, die Lippen schmal aufeinanderliegend, die Miene wie versteinert. Ganze 85 Sekunden waren im Spiel zwischen Paris Saint-Germain und FC Bayern München verstrichen und doch wirkte Carlo Ancelotti bereits sichtlich bedient. Vielleicht, weil der Bayern-Coach ahnte, was aus dem schnellen 1:0 für PSG durch Dani Alves folgen würde. Es blieb nicht der einzige Rückschlag an diesem denkwürdigen Abend: Paris konterte im eigenen Stadion, die Bayern wurden trotz deutlich mehr Ballbesitz taktisch vorgeführt. Eine Demütigung für die stolze "bestia negra".

Der FCB verlor das Spielin Paris mit 0:3 und ein frustrierter Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge im Anschluss deftige Worte auf dem Bankett: "Es war eine ganz bittere Niederlage", so Rummenigge, aus der man "Konsequenzen ziehen" müsse. "Denn das, was wir gesehen haben, war nicht Bayern München." Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar: Die Tage des 58-jährigen Maestro an der Isar sind gezählt. Das kommt einerseits überraschend. Und andererseits auch nicht.

Kritikpunkte: Aufstellung, Taktik, Menschenführung

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Denn einerseits ist die Bilanz von Ancelotti in dieser Saison alles andere als katastrophal. Von zehn Pflichtspielen wurden sieben gewonnen, eines endete Remis, zwei wurden verloren. Nicht gerade berauschend für die erfolgsverwöhnten Bayern, aber noch kein Kündigungsgrund. Und doch wird nun genau damit argumentiert: "Die Leistungen unserer Mannschaft seit Saisonbeginn entsprachen nicht den Erwartungen", erklärte Rummenigge den Rauswurf des Trainers. Der Subtext: Das "Wie" war wohl entscheidend, noch mehr als die reinen Ergebnisse. Ancelotti hat sich mit seinen eigenwilligen Aufstellungen (wie in Paris ohne Leistungsträger wie Hummels, Ribéry oder Robben in der Startelf), seiner zum Teil sehr ausrechenbaren Taktik (meist mit kontrolliertem Passspielaufbau ohne Tempoelemente) und seiner dem Vernehmen nach nicht idealen Menschenführung (hörbare Unzufriedenheit bei Stammkräften wie Müller oder Lewandowski) ins Abseits manövriert. Und nicht zu vergessen: Sein Kredit war nach dem vorzeitigen Aus in Champions League und Pokal in der Vorsaison bereits aufgebraucht. Die Pleite in Paris und das eher komplizierte Verhältnis zur Mannschaft waren nun das Tüpfelchen auf dem i. Ancelotti und der FC Bayern, das passte irgendwie nicht mehr. Man hat sich entfremdet.

Natürlich hat das Ganze auch eine politische Dimension. Carlo Ancelotti galt als der Kandidat von Rummenigge, Präsident Uli Hoeneß soll weniger überzeugt von ihm gewesen sein. Je schlechter Resultate und Spielweise der Bayern, desto deutlicher soll es nach Insiderberichten hinter den Kulissen zugegangen sein. Und Ancelotti zeigt in solchen Situationen ein besonderes Verhalten: stoisches Selbstbewusstsein. "Dass es in der Führungsetage zwei Hähne gibt, kennt er. Er war immer bei Vereinen, die in der Chefetage kompliziert waren. Ob das ein Silvio Berlusconi beim AC Milan war oder sonst wer - Ancelotti ignoriert sowas", sagte sein Biograph Detlef Vetten dem "Focus". "Ancelotti hat im Leben gelernt, dass er am Schluss der Sieger ist." Auch das könnte ein Grund des Scheiterns sein: Im FCB-Gehege an der Säbener Straße hausen zu viele Alphatiere und alle haben den Anspruch, am Ende als Sieger vom Platz zu gehen. Das geht bekanntlich nicht.

Perspektive Nagelsmann?

Passend ist da eher schon die neue, wenn auch nur temporäre Lösung: Willy Sagnol. Ein ehemaliger Bayern-Spieler mit Stallgeruch, einem kolportierten guten Draht zu vielen Spielern und ohne bekannte Attitüden der Selbstgefälligkeit. Der bisherige Assistent soll die Bayern wieder in ruhigere Bahnen lenken und womöglich etwas Zeit überbrücken. Denn im Sommer könnte dann Hoffenheim-Coach Julian Nagelsmann als neue Lösung präsentiert werden. Von ihm, der den FCB kürzlich als Teil seiner Träume bezeichnete, verspricht man sich viel in der bayerischen Landeshauptstadt, doch bisher ließ ihn die TSG nicht ziehen. Eine ungewohnte Situation für die Bayern, die vorerst also mit der kleinen Lösung vorlieb nehmen müssen.

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