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Politik

Der Beginn des Aufräumens im Internet

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Jefferson Chase
30. Juni 2017

Im Kampf gegen Hass und Missbrauch im Netz hat sich Deutschland als Pionier positioniert. Facebook mag das nicht gefallen und auch rechtlich gibt es Bedenken. Aber Nichtstun ist keine Option, meint Jefferson Chase.

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Ausgezwitschert. Nicht mehr jeder Inhalt darf ohne Konsequenzen im Netz verbreitet werden.Bild: Reuters/D. Ruvic

Es gibt viele berechtigte Einwände gegen Deutschlands neues Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Das am Freitag beschlossene neue Paragrafenwerk nimmt soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter finanziell in die Pflicht, wenn sie illegale Inhalte nicht löschen. Aber keine dieser Bedenken wiegt schwerer als die Tatsache, dass in der gegenwärtig unerträglichen Situation etwas getan werden muss.

Perversitäten ohne Ende

Wer meint, "unerträglich" sei eine maßlose Übertreibung, sollte sich das folgende vor Augen führen: Zu den Inhalten, die Facebook in diesem Jahr in seinem Netzwerk erlaubt hatte, gehörte der Mord an einem elf Monate alten Mädchen durch ihren Vater, vier Menschen, die einen geistig behinderten Mann folterten, eine Jugendliche, die von mehreren Männern vergewaltigt wurde und einige Tierquälereien.

Hinzu kommt noch die Fülle an "relativ harmlosen" Vergehen, wie etwa "Rachepornos" hochzuladen: So nennt man Bildmaterial, das Ex-Partner in intimen Situationen zeigt und die man mit der Veröffentlichung bloßstellen will. Ebenso gefährlich, aber von den Netzbetreibern verharmlost: Mobbing, Anstachelung zum Terrorismus, Selbstverstümmelung und Falschmeldungen, Beleidigungen und Hasstiraden aller Art.

Ihnen ist übel? Das ist nachvollziehbar. Aber dann verstehen Sie jetzt vielleicht auch, warum deutsche Abgeordnete etwas unternehmen wollten.

Soziale Medien haben unsere Leben in vielerlei Hinsicht bereichert. Aber Tatsache ist auch, dass auch die grundlegendsten Umgangsformen ständig und tiefgreifend verletzt werden. Der Horror ist beinahe schon zur Routine verkommen.

Giganten, die für nichts verantwortlich sein wollen

Die Argumente Facebooks, Twitters und anderer Netzwerke, nur eine Vertriebsplattform für fremde Inhalte zu sein und deswegen machtlos gegenüber den negativen Auswirkungen ihrer Dienste zu sein, ähnelt der Ausrede von Ölfirmen, die nicht für leckende Tankschiffe verantwortlich sein wollen, weil der Umweltschutz ja nicht ihr Kerngeschäft ist.

Doch die Intention der Unternehmen macht keinen Unterschied: Facebook und Twitter mögen nicht mit dem Ziel gestartet sein, Medien so mächtig wie Zeitungen oder das Fernsehen zu werden. Aber das sind sie heute de facto. Für Facebook mit einem lukrativen Nebeneffekt: Die Firma hat im ersten Quartal dieses Jahres acht Milliarden US-Dollar Umsatz verzeichnet. Da scheinen die vorgeschlagenen Strafzahlungen in Millionenhöhe verkraftbar.

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Jefferson Chase ist Korrespondent im Hauptstadtstudio

Eine neue Qualität von Zensur?

Kritiker meinen, dass das Gesetz die Verantwortung über die Grenzen und Grundsätze der Meinungsfreiheit vom Staat an private Firmen abgebe. Doch das Argument ist irreführend. Private Einrichtungen und Medienhäuser - angefangen von CNN über Deutschlands Wochenmagazin "Der Spiegel" bis hin zur lokalen Zeitung - müssen sich ständig an Gesetzen orientieren und täglich entscheiden, was als Redefreiheit akzeptiert werden kann und was nicht. Scheitern sie, erwarten sie Verleumdungsklagen und andere rechtliche Konsequenzen. Die nun eben auch für große soziale Netzwerke gelten.

Andere Bedenkenträger sind besorgt, dass die neue Gesetzgebung zu einer "Überzensur" führen könnte, weil soziale Netzwerke lieber etwas zu schnell löschen werden, als Strafzahlungen zu riskieren. Kritiker geben auch zu bedenken, dass dadurch politisch kontroverse Inhalte - beabsichtigt oder nicht - blockiert werden könnten. Diese Sorgen sind berechtigt, aber das Gesetz bietet Mechanismen, solche Kritik zu adressieren.

Es verlangt von den Netzwerken ein Protokoll und eine Rechtfertigung für ihre Entscheidung. Ebenso müssen die Betreiber leicht erreichbare Kontaktpersonen für Beschwerden zur Verfügung stellen - sowohl für illegale Inhalte, als auch für das, was ungerechfertigt gelöscht wurde.

Intransparente Netzwerkbetreiber

Wer jemals versucht hat, Facebook oder Twitter zu kontaktieren, weiß wie intransparent und hermetisch abgeschlossen diese Firmen sind. Das Gesetz ist ein Anfang, die Betreiber mit den Auswirkungen ihrer Arbeit zu konfrontieren. Ohne legale Sanktionen gibt es für die Netzwerke keinen Anreiz sich zu ändern.

Mag sein, dass die Betreiber von Facebook und Co. ihre Inhalte nicht eigenständig auf Gesetzeskonformität überprüfen können. Ist das der Fall, haben sie jetzt einen Anlass, den Staat um Hilfe zu bitten. Das wäre letztendlich auch in ihrem eigenen Interesse. Mit dem Gesetz kann eine Diskussion zwischen dem Staat und den Firmen darüber entstehen, was anders werden muss. Aber ohne dieses Gesetz gibt es gar keinen Dialog.

Deutschland kann stolz darauf sein, als erstes Land weltweit ein solches Regelwerk auf den Weg gebracht zu haben. Freude in meiner US-amerikanischen Heimat sagen, sie würden sich freuen, wenn Washington eine ähnliche Initiative anstoßen würde. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist gewiss nicht perfekt. Es wird Korrekturen geben. Aber es ist ein Anfang.

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