Und täglich grüßt das Verfassungsgericht! Mittlerweile sind die Polen so müde davon, dass die Online-Portale das Thema am Abend kaum beachten. Dabei geht es um einen Präzedenzfall: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den höchsten Richter - und zwar wegen seiner kompromisslosen Rechtstreue.
Den monatelangen Streit kann man in zwei Sätzen zugespitzt so beschreiben: Das höchste polnische Tribunal spricht Recht, aber sein Rechtsverständnis widerspricht dem Gerechtigkeitssinn der Regierenden.
Beschämend war es am Anfang. Jetzt ist es beunruhigend. Das Gefühl wird immer stärker, dass man sich dem Moment nähert, wo es gefährlich werden könnte. Seit die National-Konservativen in Warschau regieren, versuchen sie, Staatsgewalten auszuhebeln. Die Legislative und die Exekutive spielen aufs gleiche Tor - mit freundlicher Unterstützung der vierten, informellen Gewalt: der polnischen Staatsmedien.
Ein Querdenker und sturer Kopf
Nur die Judikative hält noch dagegen. Neulich hat sie zum zweiten Mal die von der rechtskonservativen Regierung beschlossene Verfassungsreform für gesetzeswidrig erklärt und brüskierte damit erneut die National-Konservativen. Sie ignorierten den richterlichen Spruch und erklärten ihre verfassungswidrige Reform für "in Kraft getreten".
Der Zorn der Regierenden richtet sich vor allem gegen einen Mann: Andrzej Rzepliński (Artikelbild). Der höchste Richter ist ein Querdenker und ein sturer Kopf, der sich in Sachen Recht nicht auf faule Kompromisse einlässt - genau der Richtige also für so ein Amt. Mit den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ihn geht der Machtkampf in eine neue Runde.
Die Anzeige erstattete ein Richter, der sich durch den höchsten Verfassungsrichter an der Ausübung seines Amtes gehindert fühlt. Der Kläger wurde Ende 2015 von der PiS-Regierung ins Amt berufen und vom Präsidenten vereidigt - so wie zwei weitere Kollegen. Die drei "Neuen" sollten "alte" - von der Vorgängerregierung ernannte - Richter ersetzen. Da das Verfassungsgericht aber ihre Nominierung für verfassungswidrig erklärte, werden sie nicht zu Sitzungen eingeladen und nehmen nicht an Urteilssprüchen teil. Einer wehrt sich jetzt, indem er Rzepliński wegen "Überschreitung von Befugnissen" anzeigt. Seit Donnerstag ermittelt die Staatsanwaltschaft. Ihr oberster Chef ist neuerdings der Justizminister.
Regierende legen "Recht und Gerechtigkeit" auf ihre eigene Art aus
Damit steigt das Risiko, dass sich ein demokratischer, europäischer Rechtsstaat selbst demontiert. Wie schade! Es war einmal, da führte ausgerechnet der polnische Staat als Erster in Europa eine Verfassung mit Gewaltenteilung ein - 225 Jahre ist es her. Dieser stolzen Tradition will Rzepliński treu bleiben. Sein Kommentar zur Aufnahme der Ermittlungen: "Ein unbeholfener Versuch, sich in die Unabhängigkeit der Judikativen einzumischen." Daraufhin sagte Zbigniew Ziobro - Generalstaatsanwalt und Justizminister in Personalunion - in prophetischer Manier: "Hochmut kommt vor dem Fall." Nach unabhängigen Ermittlungen klingt das eher nicht.
Dabei endet der Kampf des Richters ohnehin schon im Dezember - er wird turnusgemäß das Amt im Tribunal verlassen. Deshalb ist er eigentlich schon jetzt in der Rolle eines Don Quijote, der gegen die Windmühlen kämpft. Mühlen eines Staates, dessen Regierende "Recht und Gerechtigkeit" auf ihre eigene Art auslegen.
Dass die PiS-Anhänger nicht bis Dezember warten, sondern jetzt ein Exempel statuieren, ist beängstigend. Zwar genießt der oberste Richter Immunität und die kann nicht so leicht aufgehoben werden. Doch manche Kommentatoren in Polen überlegen schon, ob es wirklich abwegig ist, dass der Staatsanwalt eines Tages im Verfassungsgericht erscheint. Eigentlich müsste die Staatsanwaltschaft wissen, was für ein Bild entstehen würde: Der oberste Richter in seiner schwarzer Robe, mit weiß-rotem Jabot und silbernem Adler auf der Brust, würde dann erhobenen Hauptes das Verfassungsgericht verlassen - womöglich in Begleitung des Staatsanwalts. So ein Symbolbild für die Demontage des Rechtsstaates kann doch nicht einmal die zornigste Regierung wollen! Wozu also all das, wenn die Ereignisse für die nächsten Monate ohnehin schon klar sind: Rzeplinski wird bald sowieso gehen, die Mühlen werden bleiben und weiter mahlen.
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