Der Prozess gegen Harvey Weinstein brachte zwei aufrüttelnde, aber scheinbar widersprüchliche Bilder hervor. Das erste war Weinstein mit dem Rollator: Die Fernsehbilder zeigten den 67-jährigen Produzenten, wie er mit einer Gehhilfe in den Gerichtssaal schlurfte. Der einst allmächtige Filmmogul, der Pulp Fiction und Shakespeare in Love produziert hatte - gebrochen und hoffnungslos.
Das zweite war Weinstein am 24. Februar 2020, als die Jury in Manhattan ihn eines kriminellen sexuellen Aktes ersten Grades und einer Vergewaltigung dritten Grades für schuldig befand - zwei Verbrechen, für die er nun am Mittwoch zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Als die Geschworenen vor zweieinhalb Wochen das Urteil verlasen, wandte sich Weinstein ungläubig und schockiert an seine hochbezahlten Anwälte. "Aber ich bin unschuldig, ich bin unschuldig!"
Das zur Strecke gebrachte Monster
Das erste Bild war das eines Monsters, das zur Strecke gebracht wurde. Die Geschichten über Weinsteins sexuellen Übergriffe - wobei etwa 80 Frauen mit Anschuldigungen gegen den Produzenten hervortraten, darunter Prominente wie Salma Hayek, Rose McGowan, Gwyneth Paltrow und Ashley Judd - waren der Auslöser für die globale #MeToo-Bewegung. Weinsteins Verurteilung und das Bild eines Mannes, der so viele Menschen terrorisiert hatte, jetzt aber geschlagen und schwach ist, schien ein Wendepunkt zu sein: Wenn ein so mächtiger Mann wie Weinstein vor Gericht gebracht werden kann, würde künftig kein Täter mehr straflos bleiben.
Das zweite Bild erzählt eine andere Geschichte: Nach all den Beweisen gegen ihn, all den Aussagen von Frauen, die schockierend ähnliche Verhaltensmuster skizzierten - darunter die Verlockung von persönlichen Assistenten und aufstrebenden Schauspielerinnen zu "Treffen" in Hotelzimmern, die sich in Übergriffe verwandelten; das Versprechen von Filmrollen im Austausch gegen sexuelle Gefälligkeiten; die Drohung mit dem persönlichen oder beruflichen Ruin, wenn die Frauen ihn anzeigen würden - nahm Weinstein immer noch an, dass er nicht belangt würde. Mehr als das: Er war überzeugt - "Ich bin unschuldig!" - dass er nichts falsch gemacht hatte.
Jetzt, da das Urteil gesprochen und auch das Strafmaß verkündet ist, stellt sich die größere Frage, welches Bild und welche Version der Weinstein-Geschichte sich am Ende durchsetzt: Wird der Fall Weinstein einen Strukturwandel in der Unterhaltungsindustrie erzwingen, so dass die "Casting-Couch" endlich der Vergangenheit angehört? Oder werden Männer wie Weinstein, die Art von Männern, die in Hollywood schon immer das Sagen hatte, weiterhin gegen alle Anwürfe protestieren und, nachdem sich die Aufregung um diesen Fall gelegt hat, wieder zur Tagesordnung übergehen?
Den Rest des Lebens im Gefängnis oder vor Gericht
Für Weinstein persönlich gibt es keinen Weg zurück. Selbst wenn ihm der New Yorker Oberste Richter James Burke nur das Minimum von fünf Jahren gegeben hätte, und selbst wenn er nun Berufung einlegt (was fast sicher ist): Weinsteins Name ist für immer ein Synonym für sexuellen Missbrauch. Und die weiteren Gerichtsverfahren gegen ihn haben erst begonnen.
Die Staatsanwaltschaft in Los Angeles hat bereits weitere Anklage gegen Weinstein wegen zweier sexueller Übergriffe innerhalb von nur zwei Tagen im Jahr 2013 erhoben. Die Anklage ist mit einer möglichen Gefängnisstrafe von weiteren 28 Jahren verbunden. Unabhängig davon sieht er sich mit einer Serie von Strafverfahren und einem großen Zivilprozess konfrontiert, an dem fast 100 Frauen beteiligt sind. Alles deutet darauf hin, dass der 67-Jährige den Rest seines Lebens vor Gericht oder im Gefängnis verbringen wird.
Wirklich ein Wendepunkt?
Offen aber ist, ob der Fall Weinstein mit diesem ersten Urteil Auswirkungen in der Unterhaltungsindustrie und darüber hinaus haben wird.
Die ersten Anzeichen deuten auf einen Wendepunkt hin. Weinstein ist nämlich nicht der einzige Hollywood-Powerplayer, der in der #MeToo-Revolution gefallen ist. Von Casting-Couch-Geschichten bis hin zu Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung und brutalem Missbrauch - die Karrieren einst unberührbarer Männer sind entgleist, darunter der ehemalige CEO von Warner Bros., Kevin Tsujihara, der ehemalige Chef der Amazonas-Studios, Roy Price, der Ex-Pixar-Chef John Lasseter, der ehemalige CBS-Vorsitzende Leslie Moonves und der ehemalige Megaproduzent Brett Ratner (X-Men, The Revenant).
Das System ist im Kern immer noch intakt
Aber von den sieben Top-Filmstudios werden nur zwei - Universal und Amazon - von Frauen geleitet (und Amazon-Studio-Chefin Jennifer Salke berichtet an einen Mann, Amazon-CEO Jeff Bezos). Es gab viele Lippenbekenntnisse zur "Veränderung der Kultur" und "Beendigung des systematischen Missbrauchs". Das Grundmuster von Hollywood, dass Männer mit Geld und Macht mit Frauen machen können, was sie wollen, mag zwar erschüttert sein. Aber im Kern ist es immer noch intakt.
Das Weinstein-Urteil und die verhängte hohe Strafe allein werden daran nichts ändern. Eine Veränderung wird nur dann eintreten, wenn alle Frauen wo auch immer, dem Beispiel der beiden Anklägerinnen im Weinstein-Prozess folgend, weiterhin aufstehen, sich weiterhin zu Wort melden und weiterhin #MeToo sagen.