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Das schwierige Handwerk islamischer Reformer

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Loay Mudhoon
11. Juni 2016

Nach jedem islamistischen Terrorakt ertönt der Ruf nach Reformation des Islam. Doch Muslime brauchen keinen Martin Luther. Gefordert ist die Versöhnung des Islam mit dem Verfassungsstaat, meint Loay Mudhoon.

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Symbolbild - Koran
Bild: Getty Images/AFP/M. Al-Shaikh

Lord Cromer war britischer Generalkonsul in Ägypten, als er 1880 das berühmte Diktum prägte: "Ein reformierter Islam ist kein Islam mehr". Islamistische Apologeten und Vertreter eines traditionellen Islams sowohl in den islamischen Ländern wie auch in islamischen Gemeinden des Westens werden dem gerne zustimmen. Denn "der Islam" ist für sie - und für die meisten gläubigen Muslime - etwas grundsätzlich Vollkommenes, das nicht "reformiert" werden kann.

Doch diese wenig reflektierte Position kann nicht darüber hinwegtäuschen: "Den Islam" als nicht veränderbares Normensystem gibt es nicht! Die Religion des Islams war und ist immer ein Kind ihrer Zeit.

Wandelbarkeit religiöser Erkenntnis

Der renommierte iranische Philosoph Abdolkarim Sorush - er gehört zu den wichtigsten Akteuren der globalen Reformdebatte im zeitgenössischen Islam - betont in seinen Schriften die Wandelbarkeit religiöser Erkenntnis. Seiner Ansicht nach kann es die eine und für alle Epochen und Kontexte gültige "Islamversion" nie geben. In den Worten Sorushs: "Ich vergleiche das mit einem Fluss. Der Prophet war nur die Quelle des Flusses. Die gesamte islamische Tradition ist der Fluss. Sie fließt Richtung Ewigkeit. Wir sind ein bestimmter Abschnitt des Flusses; die nächste Generation wird ein anderer Abschnitt sein. Wir sollten niemals annehmen, dass Religion ein stehendes Gewässer ist. Sie ist wie ein fließender Fluss."

Das Festhalten an der Fiktion eines "reinen und vollkommenen" Islams ist von der islamischen Geschichte weitgehend entkoppelt. Selbst die vielfältige und hochgradig ausdifferenzierte islamische Theologie war immer ein Mittel der Politik. Allzu häufig fungierte sie als Spiegelbild realer, weltlicher Machtverhältnisse.

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Loay Mudhoon leitet das Dialogportal Qantara.de

Fatalerweise ignoriert dieses traditionelle Islamverständnis die simple Tatsache, dass es seit Beginn der islamischen Zeitrechnung zahlreiche, anspruchsvolle Versuche islamischer Intellektueller gegeben hat, den religiösen Diskurs im Islam zu erneuern und seine Quellen zeitgemäß zu deuten. Schließlich appelliert der Koran leidenschaftlich an das menschliche Erkenntnisstreben.

Pluralität der Lesarten ist der Schlüssel zu Reformen

Aus diesem Grund plädiert beispielsweise der syrische Reformdenker Muhammad Shahrur seit Beginn seiner reformatorischen Arbeit vor 30 Jahren lautstark dafür, dass Muslime sich ohne Unterwürfigkeit gegenüber der Autorität der islamischen Geistlichkeit am Wortlaut der Offenbarungsschrift selbst als eigentlichem Kriterium der göttlichen Wahrheit orientieren mögen.

"Der Koran beinhaltet die absolute Wahrheit Gottes. Diese kann allerdings vom Menschen nur relativ verstanden werden." Das ist ein Kernsatz von Shahrur. Alle innovativen Reformkonzepte müssen von dieser Prämisse ausgehen. Sie ist Grundlage und Grundbedingung für alle reformistischen Ansätze, die ernst genommen werden wollen.

Entscheidend ist: Der Koran lässt viele Lesarten zu. Die Pluralität der Lesarten und der Zugänge ist der Schlüssel zur Realisierung von notwendigen Reformen. Denn die heilige Schrift der Muslime ist eine offene Offenbarungsschrift und kein starres Gesetzbuch, wie uns Islamisten und auch populistische Islamkritiker landauf, landab weis machen wollen.

Versöhnung des Islam mit der Moderne

Nach jedem perfiden Terroranschlag von islamistischen Fanatikern irgendwo auf der Welt wird der öffentliche Ruf nach einer Reformation des Islam laut. Das ist verständlich. Es ist aber weder realistisch noch wünschenswert. Zumal nicht klar ist, wie diese "Reformation“ auszusehen hat - und vor allem: wer sie realisieren soll?

In den meist autoritär regierten islamischen Ländern findet seit dem Aufstieg der IS-Nihilisten zwar eine rege Debatte über die (Mit)-Verantwortung der Muslime für Enthemmungserscheinungen selbst ernannter Gotteskrieger statt. Eine echte Reformdebatte zur Vereinbarung islamischer Werte und Normen mit den Errungenschaften der politischen Moderne sucht man jedoch vergeblich.

Viele islamische Länder sind mit internen Konflikten oder Stellvertreterkriegen beschäftigt und nicht mit Reformdiskursen. Übrigens: Medial wirksam verbreitete Reformankündigungen seitens arabischer Gewaltherrscher wie Ägyptens Militärmachthaber Al-Sisi sind nicht ernst zu nehmen; sie schaden eher der Glaubwürdigkeit der Reformdebatte insgesamt. Schließlich hat der ägyptische Präsident die einst renommierteste sunnitische Universität Al Azhar in Kairo entmündigt. Ohne politische Freiheiten ist eine umfassende religiöse Reform nicht möglich.

Hoffnungsträger europäische Muslime

Daher ruhen die Hoffnungen auf neue Reformimpulse auf den europäischen Muslimen. Die können frei von Repression neue Reformideen entwickeln. Dabei sollte es weniger darum gehen, bestimmte liberale oder humanistische "Islam-Versionen" zu privilegieren. Wichtiger wäre es, dafür zu sorgen, dass plurale Islam-Verständnisse und Zugänge an den Zentren für Islamische Theologie an den deutschen Universitäten die Norm sein würden.

Der Islam braucht gewiss keinen Martin Luther! Er braucht eine Versöhnung seiner ethischen Normen mit den Errungenschaften und Realitäten des modernen Verfassungsstaats.

Es ist aus diesem Grund die Aufgabe kritischer Islamdenker, integrative Lösungsmodelle und Lesarten des Islams zu entwickeln, die sich eindeutig im Rahmen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen. Und es eine gesamtgesellschaftlich Aufgabe, diese Kräfte zu unterstützen.

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