Das Ende der 9/11-Ära
Endlich! Zwei Jahre nachdem Edward Snowden die übergriffigen Überwachungsaktivitäten der NSA aufdeckte und deswegen die USA fluchtartig verlassen musste, hat der US-Kongress Konsequenzen gezogen. Am Ende einer turbulenten Beratung fand sich jetzt eine überraschend große Mehrheit für eine NSA-Reform. Der nunmehr beschlossene "Freedom Act" erfüllt zwar bei weitem nicht alle Forderungen der NSA-Kritiker, doch macht er Schluss mit den schlimmsten Auswüchsen.
Das massenhafte Abgreifen von Telefonverbindungsdaten hört auf, der Zugriff ist nur noch im Einzelfall und mit richterlicher Genehmigung möglich. Dies ist zusammen mit weiteren Kontrollmechanismen ein entscheidender Schritt, um den scheinbar allmächtigen Überwachungsapparat der NSA in die Schranken zu weisen. Nun wird es darauf ankommen, die Umsetzung der Gesetzesänderung zu kontrollieren. Bisher hat die Überwachung der NSA durch den US-Kongress nicht funktioniert. Auch das war eine Lektion aus Snowdens Aufdeckungen.
Wie die Volksvertreter das ändern wollen, bleibt schleierhaft. Denn noch ist weit und breit nichts von einer überzeugenden Initiative zur Verbesserung der Kontrolle zu sehen. Das politische Signal, das der Freedom Act aussendet, kann dennoch nicht hoch genug eingeschätzt werden. Es ist die erste gesetzgeberische Reaktion der US-Regierung auf Snowdens Aufdeckungen. Damit hat Präsident Obama sein wiederholt gegebenes Versprechen erfüllt.
Weitreichender Wendepunkt
Aber der Freedom Act ist weit mehr. Er ist eine Abwendung der Amerikaner von den rigiden Sicherheitsmaßnahmen, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 vom damaligen Präsidenten George W. Bush eingeführt wurden. Aus heutiger Sicht muß man von einer Hysterie sprechen, die neben der krakenhaften Ausweitung der Geheimdienstaktivitäten zu Exzessen führte, für die Guantanamo, die CIA-Foltergefängnisse und der Feldzug gegen Saddam Hussein stehen.
Präsident Barack Obama hat auch noch in seiner zweiten Amtszeit alle Hände voll damit zu tun, diese Entwicklungen zurückzudrehen. Im Irak wird ihm das wegen der Bedrohung des selbsternannten "Islamischen Staates" wohl nicht mehr gelingen.
Und auch die Schließung von Guantanamo steht noch aus. Die Verabschiedung des Freedom Acts am 2. Juni 2015 könnte dennoch als weitreichender Wendepunkt in die Geschichtsbücher eingehen: Die Ära nach 9/11 ist damit endgültig abgeschlossen.
USA sind geschwächt
Die USA gehen geschwächt in die neue Zeit. Sie sind zwar noch Supermacht, doch zeigen ihnen in einer multipolaren Welt Konkurrenten wie China, Russland schmerzhaft ihre Grenzen auf. Und der durch Bushs Irak-Feldzug erstarkte islamische Terror nutzt das Chaos als Nährboden für brandgefährliche Aktionen, die irgendwann auch einmal die USA selber treffen könnten.
Mit der Verabschiedung des Freedom Acts haben die Amerikaner aber bewiesen, dass sie entgegen aller Vorurteile aus ihren Fehlern lernen können. Dass das politische System trotz des konfrontativen, mitunter selbstzerstörerischen Politikstils funktioniert. Nimmt man die letztwöchigen Turbulenzen im Senat einmal aus, hat sich sogar eine erstaunlich differenzierte und ehrliche Debatte über das Ausbalancieren von Sicherheitsinteressen und Privatsshpäre entwickelt.
Reform steht erst am Anfang
Dies sollte auch auf der anderen Seite des Atlantiks gewürdigt werden, wo man es sich bei seinen Schuldzuweisungen Richtung USA oft zu einfach macht. Und ist es vermessen zu sagen, dass man in Deutschland durchaus von der amerikanischen Debatte lernen kann?
Nun wird aus Berlin sicherlich der Ruf erschallen, dass sich der im Freedom Act verbesserte Schutz der Privatsspähre auch auf Ausländer erstrecken müsse. Diese Forderung ist berechtigt. Bleiben sich Präsident Obama und die US-Volksvertreter treu, wird das der nächste Schritt sein. So viel ist klar: Die Reform der NSA ist mit dem Freedom Act nicht abgeschlossen, sondern steht erst an ihrem Anfang.
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