Der Tag nach den Kommunalwahlen in vielen britischen Gemeinden hätte so schön sein können für die Labour-Partei. Eine bessere Vorlage war ja kaum denkbar: Eine zutiefst zerstrittene Regierung, die es nicht schafft, eine gemeinsame Stoßrichtung zum Brexit festzulegen. Eine unbeliebte und hilflos wirkende Premierministerin Theresa May, die gefühlt jede zweite Woche wichtige Minister verliert - vor wenigen Tagen erst musste Innenministerin Amber Rudd zurücktreten. Und gewählt wurde vor allem in den Städten, wo Labour traditionell gute Chancen hat.
Stattdessen: ein flaues Ergebnis. Nicht viel verloren, aber auch nichts gewonnen. Dabei hatte Labour nach acht Jahren Opposition auf eine Trendwende gehofft, auf einen Zugewinn zumindest in den Großstädten. Aber Labour hat so gut wie gar keine neuen Sitze ergattern können. Ernüchtert diskutieren Aktivisten nun auf Twitter, ob die Partei unter Jeremy Corbyn so weitermachen kann. Denn natürlich geht es bei Kommunalwahlen zwar um konkrete Probleme vor Ort - um Schlaglöcher, Müllabfuhr und Fahrradwege. Aber die große Politik spielt dennoch eine nicht zu unterschätzende Rolle. Und Labours Versagen ist eindeutig, vor allem beim Brexit.
Wischiwaschi-Kurs
Parteichef Jeremy Corbyns Brexit Strategie als wischiwaschi zu bezeichnen, ist fast noch ein Kompliment: Man möchte alle Vorteile der EU behalten, gleichzeitig aber den gemeinsamen Markt und die Zollunion verlassen. Dem Club keine Mitgliedsbeiträge mehr zahlen, aber doch weiterhin alle Vorzüge genießen. Wer so etwas als offizielle Parteilinie verkauft, der belügt seine Wähler: Dass sich Brüssel auf so etwas im Leben nicht einlassen wird, liegt auf der Hand - man muss kein Brexit-Experte sein, um diese Unehrlichkeit zu entlarven.
Dabei hätte gerade in den großen Städten eine klare, EU-freundliche Position bei den Wählern gute Karten gehabt. Hier sitzen viele sogenannte "Remainer", die keine politischen und wirtschaftlichen Barrieren zwischen der Insel und dem Kontinent errichtet sehen wollen. Von Labours Versagen profitieren hier vor allem die Liberaldemokraten: Sie setzen sich für ein zweites Referendum ein, und damit für die Möglichkeit, den Brexit womöglich ganz abzublasen. Dass die EU bei diesen Wahlen eindeutig eine Rolle spielte, zeigt auch das Abschneiden von UKIP, der nationalistischen Partei, die den Brexit quasi erfunden hat: Sie hat nur noch eine Handvoll Gemeinderatsmitglieder, ist nahezu vollkommen von der Bildfläche verschwunden.
Dass Labour sich windet, eine eindeutigere Position zu beziehen, liegt hauptsächlich an Parteichef Jeremy Corbyn, der es zwar so nicht offen ausspricht, aber für den die EU eine neoliberale Kapitalistentruppe ist. Weil sein Programm von sozialer Gerechtigkeit authentisch ist, konnte er bei den zurückliegenden Wahlen viele junge Wähler begeistern. Aber beim Thema Europa liegt er mit der Jugend über Kreuz: Wenn im Jahr 2021 noch einmal abgestimmt würde, dann hätte Brexit keine Chance, meinen junge Pro-Europäer, denn die nachkommende Generation ist klar für die EU.
Labours zweite Schwierigkeit sind die sogenannten "heartlands", die ehemaligen Industriegebiete im Norden Englands: Hier wohnen traditionelle Labour-Wähler, die sich abgehängt fühlen und die aus Frust für den Brexit gestimmt haben. Zwischen ihnen und den urbanen Pro-Europäern versucht Labour den Spagat - aber erfolglos.
Hoffen auf ein Umdenken in der Parteispitze
In der Labour- und auch der Gewerkschaftsbewegung hoffen viele Pro-Europäer darauf, dass die Parteispitze ihren Kurs ändert und klarer Position bezieht. Denn viele Arbeitnehmerrechte werden in Großbritannien durch die EU geschützt. Auch aus diesem Grund sind die meisten Labour-Abgeordneten im Unterhaus für den Verbleib in der EU.
In den Umfragen zeigt sich, dass einige Brexit-Wähler inzwischen ihre Entscheidung zwar bereuen. Aber die Stimmung im Land ist längst nicht mehrheitlich dafür, den Brexit rückgängig zu machen. Labour sollte Mut haben und es wagen, auf die Pro-Europäer zu hören, statt auf eindeutigere Meinungsumfragen zu warten. Klare Ansagen von der Parteiführung statt vager Versprechungen sind jetzt gefragt. Denn Großbritanniens Wirtschaftswachstum ist zurzeit das niedrigste in der gesamten EU. Der Brexit, da sind sich die meisten Ökonomen einig, wird zusätzliche negative Auswirkungen auf Großbritanniens Wirtschaft haben.
Labour sollte sich also für eine klare Linie entscheiden und eindeutig Opposition zum harten Brexit-Kurs der Regierung beziehen. Entweder für ein zweites Referendum und damit für die Möglichkeit, den Brexit doch noch aufzuhalten. Oder für einen Verbleib zumindest in der Zollunion, unter Anerkennung der vielen Kompromisse, die das auf britischer Seite nach sich ziehen würde. Denn ohne einen vernünftigen Brexit kann es in Zukunft keine soziale Gerechtigkeit in Großbritannien geben.
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