Besonnenheit gefragt
12. August 2008"Ein Land, in einer solchen geopolitischen Lage, mit dieser ethnischen Vielfalt, verlangte und verlangt große Behutsamkeit und Sensibilität von seinen Politikern", wusste in der ersten Hälfte der 1990er Jahre Georgiens Präsident Eduard Schewardnadse. Sein Nachfolger Michail Saakaschwili lässt beides vermissen. Schlimmer noch: Er sucht die Auseinandersetzung mit einem übermächtigen Nachbarn, greift zu Waffengewalt und ruft das Ausland ängstlich um Hilfe, als Russland ihm - ebenfalls mit Panzern und Soldaten - seine Grenzen aufzeigt.
Alle Welt fragt sich, weshalb Saakaschwili diesen Konflikt jetzt vom Zaun brach. Wahrscheinlich wollte er die USA in Geiselhaft nehmen. Amerika liefert seit Jahren Waffen an Georgien, hat dort Hunderte von Militärberatern postiert. Saakaschwili muss gehofft haben, dass er die USA irgendwie in diesen Konflikt mit hineinziehen kann und letztlich Moskau davor zurückschrecken würde, die direkte Auseinandersetzung mit Washington zu suchen.
Sollte das das Kalkül des georgischen Präsidenten und Heißsporns gewesen sein, so hat er sich gründlich verspekuliert - und in der Kauskasus-Region ein grausames Blutvergießen angerichtet. Tausende von Menschen haben deshalb ihr Leben verloren. Zehntausende sind auf der Flucht. Irgendwann wird sich Saakaschwili dafür verantworten müssen.
Den Vereinigten Staaten sind die Hände gebunden
Russland nutzt die "Gunst der Stunde" - so sieht man es zumindest in Moskau -, um aller Welt vor Auge zu führen, was Amerikas Unterstützung derzeit wert ist: nicht viel. Anders als der hitzköpfige Saakaschwili war US-Präsident Bush besonnen genug, nicht wegen eines regionalen Konfliktes einen Krieg mit der Atommacht Russland zu riskieren. Das Weiße Haus weiß, dass auf lange Sicht jeder Tag, den der Krieg länger dauert, den Öl- und Gaspreis verteuert. Das ist schlecht für die US-Konjunktur, bringt aber dem Rohstoffexporteur Russland Mehreinnahmen in Milliardenhöhe. Washingtons politische Elite bebt vor Wut.
Militärisch hat Georgien diesen Krieg verloren. Ein kleiner Sieg wäre es, mit Hilfe der Diplomatie dafür zu sorgen, dass nach dem Waffenstillstand, den nun Medwedew befohlen hat, nicht-russische Truppen an der Grenze zu Süd-Ossetien und Abchasien stationiert werden würden. Das wäre ein Kompromiss, auf den sich auch Russland einlassen könnte, zumal so sein Einfluss auf den Kaukasus gewahrt bliebe. Amerika ist Partei in diesem Konflikt und kann deshalb nicht als ehrlicher Makler auftreten.
Europa muss Verhandlungsgeschick beweisen
Jetzt schlägt die Stunde Europas. Der französische Präsident verhandelt weiter im Kreml. Ende der Woche trifft Bundeskanzlerin Angela Merkel den russischen Präsidenten in Sotschi am Schwarzen Meer, wenige Autostunden von dem Konfliktgebiet entfernt. Frankreich und Deutschland sind bei diesen Gesprächen gut beraten, die Stimmen Polens und der drei kleinen baltischen Staaten zu ignorieren. Sie drohen Russland und verkennen dabei völlig ihre Möglichkeiten. Sie sind eine Belastung für eine einheitliche europäische Außenpolitik. Wie sagte doch Schewardnadse: Behutsamkeit und Sensibilität sind gefragt.