Bedrohte Identität? - Getöse um ein Wort
6. Januar 2015Wir haben die NS-Zeit aufgearbeitet, die Westbindung der alten Bundesrepublik kritisch beleuchtet und den Niedergang der DDR analysiert. Wir sind eben gründlich. Was noch fehlt, ist die Auseinandersetzung mit der Ära nach 1989. Denn es gibt einen aktuellen Anlass, dies sofort zu tun. Ausgerechnet im 25. Jahr nach dem Mauerfall fällt uns Pegida vor die Füße: eine Wut-Bewegung mit klarer Ost-Kennung. Dresden ist ihre Zentrale, ein neuer Wallfahrtsort der Frustrierten. Und es ist eine heiße Kartoffel für die Politik.
Zuerst ging es gegen Islamisten, dann war der Islam als solcher Gegenstand der Empörung, mittlerweile geht es den Protestierern um die Kernfrage einer jeden Gesellschaft: Wer sind wir, welche Identität haben wir Deutsche? Antworten sind zwar noch nicht zu hören, doch was wir alles nicht sind und was unserer Identität angeblich Schaden zufügt, das hören wir wohl. Weniger Muslime, weniger Asylanten, weniger Flüchtlinge, am besten von allen gar keine. Ein kollektives Bedürfnis nach mehr Homogenität bricht sich Bahn – deutscher Homogenität, wohl gemerkt. Das riecht nach völkischer Gesinnung, ist also brandgefährlich. Und verwerflich sowieso.
Ostdeutsche Lebenserfahrung der 90er Jahre: Eine Kränkung!
Die Geschichte hinter den Freudentränen von 1989 ist für Ostdeutschland vor allem für die ersten 10, 15 Jahre ein Kapitel des wirtschaftlichen Niedergangs, der sozialen Verunsicherung. Anders gesagt: Die Befindlichkeit der Pegida-Aktivisten speist sich nicht aus der DDR-Vergangenheit, sondern vor allem aus den Lebenserfahrungen der 90er Jahre. Eine Dekade der kollektiven Kränkung für viele im Osten. Sie haben nicht nur Freiheit gewonnen, sondern auch Vertrautes verloren.Wer dabei auch noch arbeitslos wurde oder bis heute nicht den gleichen Lohn für seine Arbeit bekommt wie sein Kollege im Westen, der sehnt sich nach Rückhalt. Für Toleranz ist da wenig Raum. Kurz: Viele Menschen mit DDR-Biographie erkennen heute – gemessen am Jahr 89 – ihre Heimat nicht mehr wieder. Das ist nachvollziehbar und dennoch nicht zu ändern.
Auch im Westen ist nicht mehr alles so, als sei 1989 die Zeit stehen geblieben. Die D-Mark ist weg, der schöne deutsche Bergbau so gut wie und die Wehrpflicht sogar komplett. Und wer in der Provinz lebt, dem bricht die vertraute Dorfstruktur weg: kein Metzger, keine Apotheke, keine Schule und keine Post mehr. Die Globalisierung frisst unseren Alltag. Darüber klagen und sich verloren fühlen in der neuen digitalen Welt können viele, egal ob in Ost oder West. Dafür können aber weder unsere Muslime, noch unsere Asylanten und Flüchtlinge im Land etwas. Die Welt ist globaler, schneller, anders geworden. Und Deutschland eben auch. Und dem haben wir uns zu stellen.
Westdeutsche Reflexe: Die alternative Multikulti-Szene brummt
Deshalb ist es gut, dass sich vornehmlich im Westen der Republik ziviler Widerstand gegen die Deutschtümelei formiert. Der ist in der Summe sogar größer als alle Pegida-Märsche zusammen. Auch im Norden, Westen und Süden des Landes werden die Anti-Pegidastros von ihren Lebenserfahrungen getragen. Die 68er Generation und ihre Erben aus der Anti-Atomkraftbewegung, der Hausbesetzer-Szene oder der Friedensmarsch-Teilnehmer, sie alle sind geübte öffentliche Einmischer für Bürger- oder Minderheitenrechte. Der Multikulti-Apparat funktioniert wie geschmiert. Dahinter steht Erfahrung. Erfahrung, die es zwischen Rostock und Dresden (noch) nicht gibt.
Eine überflüssige Identitätsdebatte
Wenn jetzt über deutsche Identität diskutiert wird und den angeblichen Verlust derselben, dann führen solche Debatten zu nichts. Der homogene Nationalstaat ist eine Fiktion, Realität ist das Einwanderungsland Deutschland. Das entspricht den Gesetzen des Marktes und dem Willen der Betroffenen. Und das ist gut so. Alles andere ist Sozial-Romantik. Und die können wir uns weder ökonomisch noch gesellschaftlich leisten. Schon gar nicht als Deutsche in der Mitte Europas.