Asselborns Ausfall
Hatte Jean Asselborn einfach Langeweile? Wollte er nach der Sommerpause schnell wieder in die Schlagzeilen? Hat er in den Ferien zu viel Auslandsjournal gesehen mit ertrinkenden Flüchtlingen im Mittelmeer? Jedenfalls scheint seine jüngste Verbalattacke gegen Viktor Orban etwas willkürlich platziert.
Inhaltlich hat der Minister im Prinzip Recht. Denn was Orban vor der anberaumten Volksabstimmung gegen Flüchtlinge derzeit an hysterischer Propaganda bietet, geht auf keine Kuhhaut. Er macht seine kleine Donau-Diktatur zu einer rechtsextremen Enklave in der EU, tritt Demokratie und Menschenrechte mit Füßen und findet sich dabei auch noch toll. Außerdem will er - so scheint es - am liebsten die Visegrád-Gruppe zu einem osteuropäischen Bund der Antidemokraten mit faschistoidem Einschlag vereinen. In der Rolle des größten Anführers aller Zeiten sieht Viktor Orban sich dabei zweifellos selbst.
Nach 25 Jahren wieder Stacheldraht in Ungarn
Jedenfalls hat der Ungar sein Land mit Mauern und Stacheldraht zu einem Bollwerk gegen Migranten aufgerüstet und bildet gerade bewaffnete Milizionäre zu Menschenjägern an diesen Grenzen aus. Auf die ersten Todesopfer kann gewartet werden.
Sowieso hat Orban längst die demokratischen Institutionen lahm gelegt, die Opposition unterminiert, die Justiz an die Leine genommen, freien Journalismus zum Schweigen gebracht. Das alles verstößt gegen die Regeln der Demokratie, die in den EU-Verträgen verankert sind. Aber das ist alles ist auch längst bekannt. Die EU hat der Entwicklung seit Jahren zugeschaut und sich von politischen Rücksichten einlullen lassen.
Auf eine Weise tut Jean Asselborn seinen europäischen Kollegen einen Gefallen: Es ist psychologisch entlastend, wenn wenigstens einer ausspricht, was viele denken. Und es gibt sicherlich mehr als einen Regierenden in der EU, der wünschte die Erde möge sich unter Viktor Orban auftun und ihn einfach verschlucken. Sein fremdenfeindliches, rassistisches Gekläffe ist peinlich, seine Miniatur-Diktatur ein Störfaktor, sein Einfluss in Osteuropa Gift.
Zoff in der Klasse der politischen Fliegengewichte
Nur finden die meisten europäischen Politiker es derzeit kontraproduktiv, in den Krieg der Worte gegen ihn und seine Gefolgsleute einzusteigen. Europa hat wichtigere Probleme und muss vor allem ein positives Bild von sich und seinem Nutzen für die Bürger entwerfen, statt sich in kleinteiliges Gezänk mit einem bösartigen Ideologen an seinem Rand zu verstricken. Der Zeitpunkt dafür wird noch kommen. Bis dahin sind gegenseitige Beleidigungen in der Klasse der politischen Fliegengewichte wenig produktiv.
Der Zornesausbruch von Jean Asselborn hat auch deshalb den Anstrich von Beliebigkeit, weil der Luxemburger sehr wohl weiß, dass die EU keinen Mechanismus dafür hat, ein Land auszuschließen. Die Schöpfer der Verträge haben zu sehr an das Gute in der Politik geglaubt. Das war ein Versäumnis, wie man inzwischen sieht. Insofern sollte Asselborn vorläufig sein Pulver trocken halten und vielleicht seine Erfahrung und seinen Einfluss im Oktober, nach dem unsäglichen Referendum in Ungarn, auf einen konzertierten Angriff im Verbund mit einen paar größeren Partnern richten.
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