"Die deutsche Industrie ist mit dem Koalitionsvertrag unzufrieden." Klarer und missverständlicher hätte das Urteil des BDI, des Bundesverbandes der deutschen Industrie an den Regierungsplänen von Union und SPD nicht ausfallen können. Überraschend ist das nicht. Die Wirtschaft und ihre Wünsche rangierten bei den Koalitionsverhandlungen lediglich im hinteren Mittelfeld.
Ganze vorne ging es um soziale Themen, um all das, was die SPD-Spitze braucht, um den Genossen an der Basis die Neuauflage der großen Koalition schmackhaft zu machen. Weniger Steuern für Unternehmen, weniger Vorschriften, weniger Bürokratie - ja grundsätzlich weniger Staat - gehörten ganz sicher nicht dazu. Doch das ist genau das, was sich Manager wünschen. Weswegen sie den Aufstieg von Angela Merkel zur starken Frau in der CDU ja einst auch bejubelt hatten.
2003 hing der Himmel voller Geigen
Da kam 2005 eine an die Macht, die wie aus dem Lehrbuch des Wirtschaftsliberalismus predigte. Die ihrer CDU schon zwei Jahre zuvor auf dem Parteitag in Leipzig Marktwirtschaft in Reinkultur verordnet hatte. Unter anderem drei Steuersätze von zwölf, 24 und 36 Prozent und den Wechsel von einer solidarischen Krankenversicherung mit vom Gehalt abhängigen Beitragssätzen zu einer Kopfpauschale von 180 Euro - egal ob Pförtner oder Generaldirektor. Ach ja, auch die Rente ab 67 wurde damals schon ins Parteiprogramm geschrieben.
Selbstverständlich ging man in den Führungsetagen der Wirtschaft davon aus, dass Angela Merkel den großen Konzernlenkern der Deutschland AG ähnlich verbunden sein würde wie ihr Vorgänger im Kanzleramt, Gerhard Schröder. Der Sozialdemokrat hatte es immerhin zum Spitznamen "Genosse der Bosse" gebracht. Merkel, eine Frau zumal, musste doch noch besser in den Griff zu bekommen sein.
War nicht die CDU stets die Partei der Unternehmer gewesen? Waren Kanzler und Konzernlenker nicht spätestens seit der Ära von CDU-Bundeskanzler Helmut Kohl so etwas wie natürliche Verbündete?
Merkel machte alles anders
Die Ernüchterung kam schneller als gedacht. Radikale Marktwirtschaft war in der großen Koalition ab 2005 nicht mehr als eine vage Erinnerung. Stattdessen gab es mehr Staat inklusive einer Steuererhöhung. Die Finanz-, Schulden- und Eurokrise stellte die Welt schließlich komplett auf den Kopf. Danach war alles anders und oben drauf kam auch noch die Energiewende mit dem schnellen und radikalen Ausstieg aus der Atomkraft.
Selbst die konservativ-liberale Koalition aus Union und FDP, die von 2009 bis 2013 regierte, hat es der Wirtschaft nie Recht machen können. Merkel lieferte nicht das, was in den Führungsetagen der Wirtschaft erwartet wurde. "Es fällt schwer, eine positive Halbzeitbilanz Ihrer Regierung zu ziehen", sagte der damalige BDI-Präsident Hans-Peter Keitel Angela Merkel 2011 ins Gesicht. Eine Klatsche - klar und unmissverständlich.
Kein Bund, keine Verbündeten
Die Kanzlerin und die Wirtschaftsbosse - das ist die Geschichte eines Missverständnisses. Jeder sah im anderen etwas, was der nie sein wollte. Die Manager dachten, Merkel sei ihre Verbündete, die sich für ihre Interessen einsetzen und diese durchsetzen würde. Merkel hingegen hatte die Illusion, dass die Konzernchefs mehr im Sinn hätten, als nur den Erfolg ihrer Unternehmen. Dass sie auch das große Ganze, das Gemeinwohl im Blick haben, entsprechend handeln und damit auch politisch nützlich sein würden.
Eine Denkweise, die auf das Bild des fürsorglichen Unternehmers zurückgeht. Ein Bild, das die Kultur in kleinen und mittelständischen Unternehmen lange ausgemacht hat. Das aber nichts mehr gemeinsam hat mit dem Bild, das Manager seit Jahren abgeben. Was Angela Merkel davon hält, hat sie in den vielen Affären um Millionen-Gehälter, Boni-Zahlungen und im Diesel-Skandal deutlich gemacht. "Ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen", kanzelte sie die Abgastests an Affen ab.
Das wird nichts mehr
Das Tischtuch zwischen der Bundeskanzlerin und CDU-Chefin sowie den deutschen Managern ist zerschnitten. Der neue Koalitionsvertrag ist nur eine weitere Etappe in dieser Entwicklung. Die Wirtschaft boomt im neunten Jahr, den Managern und den Unternehmen geht es blendend. Sie kommen derzeit ganz gut auch ohne weitere Unterstützung der Regierung aus. Da mögen sie noch so laut grollen, schmollen und unglücklich sein. Angela Merkel hat im Moment andere Probleme, als sich davon beeindrucken zu lassen.
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