Europa feiert den Flüchtlingsdeal mit der Türkei. Der "Strom" der Flüchtlinge und Migranten über den Westbalkan ist versiegt. Viele Länder perfektionieren die Abschottung gegenüber Flüchtlingen. Sie bauen Zäune, setzen Soldaten an den Grenzen ein.
Da wirkt die Tagesreise von Papst Franziskus am Samstag kommender Woche, die nun auch der Vatikan offiziell bestätigt, wie eine Provokation: Während die Europäer jene, die da kommen wollen, hinter Zäune wegsperren, geht er ihnen entgegen, will ihnen begegnen, mit ihnen Zeit verbringen.
Kein Realpolitiker - ein Radikaler
Franziskus ist kein Realpolitiker. Er ist Franziskus. Der Radikale, dem das Engagement Europas, des christlich geprägten Europa nicht reicht. Er wird sich nie damit abfinden. Er verlangt viel. Sehr viel. So war auch schon der Heilige Franziskus, der Umbrier. Dessen Name wählte Kardinal Mario Bergoglio spontan im Konklave 2013, als es ernst wurde. Und ein Mitbruder ihn mahnte, im neuen Amt die Armen nicht zu vergessen.
Das ist ihm Auftrag. "Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird", sagte er am 25. November 2014 im Europäischen Parlament in Straßburg. "Auf den Kähnen, die täglich an den europäischen Küsten landen, sind Männer und Frauen, die Aufnahme und Hilfe brauchen. Das Fehlen gegenseitiger Unterstützung innerhalb der Europäischen Union läuft Gefahr, partikularistische Lösungen des Problems anzuregen, welche die Menschenwürde der Einwanderer nicht berücksichtigen." Nach der Rede klatschten damals fast alle.
Sie ist heute so aktuell wie damals. Franziskus kritisierte nicht nur. Er formulierte eine Vision: "Europa wird imstande sein, die mit der Einwanderung verbundenen Problemkreise zu bewältigen, wenn es versteht, in aller Klarheit die eigene kulturelle Identität vorzulegen und geeignete Gesetze in die Tat umzusetzen, die fähig sind, die Rechte der europäischen Bürger zu schützen und zugleich die Aufnahme der Migranten zu garantieren." Und er nannte auch die Hilfe vor Ort in den Herkunftsländern und die Überwindung der Konflikte.
Reisen an die Ränder
Straßburg war - sieht man von italienischen Reisezielen ab - die zweite Tagesreise von Franziskus innerhalb Europas. Neun Wochen zuvor war er in Albanien, dem Armenhaus auf dem Balkan. Seine überhaupt erste Reise heraus aus Rom führte ihn gut 100 Tage nach seiner Wahl nach Lampedusa - auf jene kleine Insel, die schon vor Jahren zum Synonym für den tausendfachen Tod im Mittelmeer wurde und dies nach wie vor ist.
Man muss Franziskus von Lampedusa her denken, von den vielen Lampedusas dieser Welt. Er geht an die Grenzen, er empfindet von den Grenzen, der Peripherie, den Ausgegrenzten her. Damit klingt er manchmal sozialutopisch, gelegentlich aufrührerisch und dem Kommunismus nahe. Und wenn. Er ist eben kein Realpolitiker. Nicht wenige, denen das lästig wird, schütteln den Kopf.
In einem Monat reisen hunderte Deutsche und Europäer in den Vatikan, wenn der Papst vom Ende der Welt den Internationalen Karlspreis verliehen bekommt. Dass verunsicherte, auf Abschottung bedachte, mit neuen, dunklen Nationalismen flirtende Europa ehrt mit einem seiner wichtigsten Preise seinen größten und provokanten Mahner. Wer ihn dann hört, muss auch seine Worte von Straßburg ernster nehmen und seine Gesten und Zeichen bedenken, wie es die Besuche auf Lampedusa und Lesbos sind.
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