Freiheit oder Sicherheit? Zum Jahresausklang ließ sich Ruandas Präsident Kagame durch ein Referendum mit sowjetischen 98,4 Prozent der Stimmen für weitere drei Amtszeiten legitimieren. Das Wahlvolk ist ja nicht dumm - vielleicht hat es sogar freiwillig für Stabilität und Gewissheit gestimmt. Für Sicherheit statt Freiheit. Kagame hat Ruanda aus dem Genozid-Chaos 1994 auf Erneuerungs- und Erfolgskurs gebracht. Dafür sind ihm viele Mittel recht. Experten nennen das "Entwicklungsdiktatur", und es gibt Gründe, Entwicklungsdiktaturen besser zu finden als Anarchie. Aber Kagame lässt neben sich gar keine anderen Steuerleute zu. Die einzige ernstzunehmende Oppositionspartei, die Demokratische Grüne Partei (DPGR), wird nach allen Regeln der Autokratie gegängelt. Sie konnte nicht einmal eine begründete No-Kampagne starten. Die Ruander hatten überhaupt keine Wahl.
Das Nachbarregime in Burundi fühlte sich ermutigt durch Kagames Volksbefragung. Prompt wies das Parlament die geplante Friedensmission der Afrikanischen Union (AU) als "Invasion" zurück. Burundi befinde sich im Frieden, behauptete Parlamentschef Nyabenda sogar. Freilich ist das Volk seit dem Wahlboykott der Opposition gar nicht mehr repräsentiert im Parlament. Und Präsident Nkurunziza hat mit der blutigen Niederschlagung der Protestbewegung jede Legitimation verloren. Leider ist er nicht klug genug, von der Macht zu lassen und seine letzte Chance zu ergreifen: mit Hilfe von AU und UNO gesichtswahrend in eine Verhandlungslösung einzuwilligen. Anders als Nachbar Kagame kann Nkurunziza nicht einmal mehr Sicherheit gewährleisten. Freiheit schon gar nicht. Die AU-Eingreiftruppe könnte bei ihrem historischen ersten Einsatz 2016 wenigstens die Sicherheit zurückbringen.
Burkina Fasos "Bürgerbesen" als Inspiration
Und Zentralafrika? Die Existenzfrage "Freiheit oder Sicherheit", wie sie nach den Terroranschlägen von Paris auch Europa umtreibt, ließe sich in der sogenannten "Republik" schnell beantworten: Den meisten Menschen würde im Moment schon eine halbwegs verlässliche Friedensstatik genügen. Für die Bürgerkriegsrepublik im Herzen Afrikas kommt (mit den Wahlen am 30.12.) der Schritt in die Demokratie sehr früh. An Freiheit denkt da noch keiner. Auch die Betroffenen der Anschläge in Nigeria, Tschad, Kamerun, Mali oder Kenia mit Hunderten Toten werden kaum sorgsam abwägen zwischen Frieden und Freiheit. Sicherheit zuerst.
Aber die scheinbaren Antipoden müssen sich nicht ausschließen. Die Balai Citoyen - die "Bürgerbesen" im westafrikanischen Burkina Faso - haben sich in den sozialen Netzwerken organisiert und den verhassten Autokraten Blaise Compaoré zum Teufel gejagt. Sie haben sich gegen Willkür entschieden und für Freiheit. Spätestens seit der Französischen Revolution 1789 wird die Frage gestellt, ob Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit universelle Werte sind. Sie sind es. Kein Alleinherrscher, kein religiöser Eiferer, kein Entwicklungsdiktator hat das Recht, sich über Andere und Andersdenkende zu erheben.
Feinde der Freiheit mögen zu Recht die Maß- und Schamlosigkeit des Westens kritisieren, die Dekadenz der offenen Gesellschaft, ihren Egoismus. Aber in geschlossenen, autoritären oder gar totalitären Systemen ist noch keine einzige nachhaltige Idee geboren worden. Geschlossene Gesellschaften stehen für ideologische Starre, Ideenlosigkeit, Fortschrittsfeindlichkeit, Gedankenfaulheit, für Angst, Bevormundung und Gewalt.
Aufbegehren der Generation Hashtag
Gerade die Jugend Afrikas rebelliert gegen diese geschlossenen Systeme aus Ideologie-Höfen, Clan-Mauern oder Geschäftsbündnissen. Die sozialen Netze, die das Kommunikationsverhalten in Afrika dominieren, werden wie in Burkina zur Aktionsplattform der Generation Hashtag.
In Nigeria trugen sie zum ersten demokratischen Machtwechsel bei. In Südafrika lehrten sie Präsident Zuma mit Spontanprotesten im ganzen Land das Fürchten. Selbst Gewerkschafter und langjährige Genossen schreiben unter dem Hashtag #Zumamustfall gegen den wirren und skrupellosen Regierungschef an. Geht 2016 die Kommunalwahl schief für Nelson Mandelas Afrikanischen Nationalkongress (ANC), sind Zumas Tage gezählt. In Tansania avancierte der neue Präsident Magufuli mit bemerkenswerten Spar- und Anti-Korruptionsmaßnahmen zum Twitter- und Facebook-Star. Magufuli unternimmt den ambitionierten Versuch, die müde und korrupte Regierungspartei CCM von oben zu reformieren. Der Hashtag #whatmagufuliwoulddo wird zum moralischen Barometer der Rebellion. Und zur humorvollen Messlatte in ganz Afrika. Präsidenten, die im Jahr 2016 mit aller Macht auf ihre Wiederwahl setzen, sind gewarnt!
Geringe Hoffnung auf Wandel durch Wahlen
In zehn Ländern stehen Wahlen an und sie geben keinen Anlass zu Euphorie. Nur in Ghana und Sambia sind demokratische Machtwechsel geübte Praxis. Im Terror-Frontstaat Niger stehen vor der Wahl im Februar Medien- und Versammlungsfreiheit auf der Kippe. Die Demokratische Republik Kongo, in der Präsident Kabila den geplanten Urnengang trickreich zu verzögern versucht, steuert schnurstracks in die Krise. In Tschad, Kongo-Brazzaville oder Uganda machen die Dauerherrscher Déby, Sassou-Nguesso und Museveni keinerlei Anstalten abzutreten. Noch haben sie ihre geschlossenen Gesellschaften halbwegs im Griff.
Aber diese Machthaber der alten Schule, die sich jahrzehntelang mit Vetternwirtschaft, Kleptokratie, Desinformation und Repressalien behaupten konnten, sind Auslaufmodelle. Sie haben in den offenen Netzwerken des 21. Jahrhunderts ihr Monopol verloren. In immer mehr Ländern Afrikas scheint die Hashtag- Generation die offene Gesellschaft zu "trenden". Sie braucht Verbündete dafür. Und volle Mägen. Demokratie, Meinungsfreiheit, Machtwechsel garantieren noch keinen Job, nicht mal täglich Brot.
Die offene Gesellschaft muss sich auszahlen. Sie muss stabil, Ideenschmiede und Jobmaschine sein. Sie muss die überzeugendsten Zukunftsperspektive bieten und taugliche Gegenwartsrezepte. Die offene Gesellschaft braucht sehr langen Atem. Blauhelme können Macheten und Kalaschnikows besiegen, aber nicht den Kampf um die Köpfe gewinnen. Wer die offene Gesellschaft will, muss ein Afrika der verschiedenen Geschwindigkeiten akzeptieren. In Krisenländern wie Zentralafrika oder Südsudan ist den Bürgern Sicherheit wichtiger als Freiheit. Aber auf lange Sicht muss sich die freie, die offene Gesellschaft durchsetzen - mit Diskurs, Palaver, mit Meinungsvielfalt und Irrtümern. Immer aber mit einem friedlichen Wettbewerb der Ideen.
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