Kolumne: Flüchtlinge in Berlin
4. September 2016Alle Welt spricht von den Flüchtlingen in Deutschland. Von den mehr als eine Million Menschen, die mancherorts noch immer keine Bleibe gefunden haben. Doch wenn man im Flughafen Tegel ankommt oder am Berliner Hauptbahnhof aus dem Zug steigt, ist die Überraschung groß: kein Flüchtling, soweit das Auge reicht. Kaum einer ist da, der so aussieht, wie man sich vielleicht einen Flüchtling vorstellt. So ist es jedenfalls meiner Freundin Diana ergangen, die aus den USA zu Besuch kam. Außer einigen Bettlern sei ihr nichts aufgefallen, sagte sie beinahe im anklagenden Tonfall.
Diana findet es vorbildlich, wie wir Deutsche die Flüchtlinge empfangen haben. Mit offenen Armen und großer Hilfsbereitschaft. Nun ist sie enttäuscht, dass man davon so wenig mitbekommt im Berliner Alltag.
Sie hatte vor ihrem inneren Auge lange Schlangen vor Suppenküchen und ein großes Zeltlager vor dem Brandenburger Tor gesehen. Doch dort campieren keine Flüchtlinge, alles geht seinen gewohnten touristischen Gang.
Berlin ist über das Schlimmste hinweg
Einen, der ganz froh ist, dass man von den Flüchtlingen so wenig in Berlin mitbekommt, treffen wir am Abend auf einer Party für Berlins nimmermüde Kulturszene. Es ist Michael Müller, der Regierende Bürgermeister von Berlin. Im Gegensatz zur Bundeskanzlerin im Fernsehen wirkt er alles andere als bedrückt von der politischen Last der Flüchtlingsfrage. Wo die Flüchtlinge geblieben seien, frage er sich auch manchmal, gibt Müller zu. Man weiß ja, dass viele in Berliner Außenbezirken, etwa am Tempelhofer Feld, untergebracht sind. Dort in der Nähe wohnt Müller selbst und hat doch noch keinen von ihnen zu Gesicht bekommen.
65.000 Flüchtlinge würden in einer Stadt von vier Millionen Einwohnern eben nicht so auffallen, versucht er eine Erklärung. Außerdem sei man in Berlin über das schlimmste hinweg. Als man die Menschen noch in Turnhallen unterbringen musste, sei die Wut der Bürger groß gewesen. Doch das ist vorbei – vorerst. Verhältnismäßig wenige Flüchtlinge sind seit den Grenzschließungen in einigen Nachbarländern noch nach Berlin gekommen. Nun geht es für Müller darum, zehn Jahre Integration zu organisieren. So lange würde es dauern, sagt er, und das sei die eigentliche Herausforderung.
Doch egal ob Müller oder Merkel, den Berliner Beobachter beschleicht das Gefühl, dass es den meisten im Politikbetrieb wohl ganz recht wäre, wenn das Aufregerthema Flüchtlinge ein bisschen in den Hintergrund rücken würde.
Bei einer Veranstaltung des Handelsverbandes Deutschland in der Gourmetabteilung einer bekannten Kaufhauskette am Alexanderplatz macht einer von ihnen keinen Hehl daraus. Zwischen Austern, Hühnerbeinen und edlen Käsehappen nimmt der CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Linnemann kein Blatt vor den Mund: Dies sei eine gute Veranstaltung, beginnt der Jungstar unter den CDU-Mittelstandspolitikern seine Ansprache. Denn dies sei die erste Veranstaltung, bei der in keiner Rede das Thema Flüchtlinge auftauche. Jede Fraktionssitzung würde dadurch seit vielen Monaten in ungebührliche Länge gezogen, witzelt er mit einem Augenzwinkern. Das sei zuletzt immer zu Lasten des abendlichen Fußballtrainings gegangen.
Mit Flüchtlingen ins Gespräch kommen
Später, draußen in der Dunkelheit, treffe ich doch noch auf Flüchtlinge, wenige hundert Meter von der Gourmetabteilung des Kaufhauses entfernt. Junge Männer stehen in Gruppen um die weitläufigen Wasserbecken des Alexanderplatzes. Man hört orientalische Musik aus Trägerradios. Die Männer unterhalten sich in einer schnell und hart rollenden Sprache, wahrscheinlich Arabisch.
Mit den Jungen ins Gespräch zu kommen, fällt schwer. Nicht nur wegen der Verständigungsprobleme. Als ich vorsichtig auf sie zugehe, weichen sie fast ruckartig zurück. Offensichtlich erwarten sie nichts Gutes von dem Deutschen, der da kommt. Sam heiße er, stellt sich der Jüngste von ihnen mit Namen vor. Er will nicht viel erzählen, nur dass alle hier aus Damaskus kommen. Gemeinsam fotografieren lassen wollen sich die Syrer auch nicht. Dann ist das Gespräch beendet.
Weiter hinten am Brunnen sitzt ein Junge ganz alleine. Es ist Kaan, der vor einem Jahr aus Afghanistan vor den Taliban floh. Er ist auf die Syrer nicht gut zu sprechen. Sie prügelten in der Schule und würden sich den Lehrern widersetzen.
Kaan ist 16 Jahre alt und hat die Familie mit sechs Schwestern und zwei Brüdern zurücklassen müssen. Er wohnt alleine in einem Apartment in der Berliner Straße, finanziert von der Ausländerbehörde. Man spürt, er ist einsam. Ihm gehe es "nicht so gut", sagt er denn auch.
Auf dem Nachhauseweg laufe ich wieder an einer Gruppe arabischer Jugendlicher vorbei. Die erste Begegnung mit den Syrern ist noch frisch im Gedächtnis. Unsicher tasten sich unsere Blicke gegenseitig ab. Da huscht über das Gesicht des einen von ihnen ein Lächeln. Zumindest ein kleiner Lichtblick an diesem langen Abend.