Techno Club Berghain - Immer für eine Überraschung gut
14. Mai 2017Auf ins Berghain! Ja, ich gebe es zu: Die Aussicht auf eine Nacht in Berlins angesagtestem Club lässt meine in die Jahre gekommenen Glückshormone immer noch jubeln.
Aber diese Nacht ist anders. Es ist keine der berüchtigten Clubnächte, mit denen der 2004 gegründete Techno-Tempel weltweit viele Menschen anzieht, sondern schlicht ein Kulturevent, von denen es hier mehrere im Monat gibt.
Unter Berghain-Neulingen
15 Minuten bevor es losgeht, bin ich noch fast allein vor den verschlossenen Stahltüren. Allein, wo sonst Hunderte von Technojunkies Schlange stehen, gehüllt in uniformes Berghain-Schwarz und auf dem Rücken der Rucksack mit verschreibungspflichtigem Party-Proviant.
Leonore aus Paris wartet mit mir. Sie macht Ausstellungen mit Blumenkunst, lebt jetzt in Berlin und lächelt etwas unsicher. Es ist ihr erstes Mal. Unter denen, die dann vermehrt eintrudeln, sind noch mehr Berghain-Novizen. Meine drei Freunde allerdings haben Veteranenstatus. Nicht was ihr Lebensalter angeht, aber die Lebenszeit, die sie in den hitzigen Hallen getanzt, geflirtet und geschwitzt haben.
Leichte Nervosität in der Menge, als endlich das Stahltor aufgeht und der Türsteher scheinbar sein gefürchtetes Werk verrichten will. Stoßgebete und Schweißperlen. Dann Aufatmen. Stimmt ja, das ist ja keine Clubnacht, bei der die Türsteher Besucher ohne Begründung abweisen. Heute haben die meisten eine Eintrittskarte. Alle kommen rein.
Das Füllhorn des Hedonisten
Nadia von "your moms agency", den Organisatoren des Abends, steht auch an der Tür und kümmert sich um die Gästeliste. Sie schärft mir ein: Keine Fotos aus dem Berghain! Doch schreiben, das geht schon. Nicht nur das ist anders als sonst: Auch der Sound, der jetzt nach draußen dringt: Statt der geliebten Techno-Schläge höre ich tief grummelnde Klangflächen.
Drinnen dann die große Verwandlung: Die rauen Betonwände sind in flirrende Lichtprojektionen getaucht. An der Wand eine übergroße Götterstatue, die ihr Füllhorn gierig nach oben hält. Es besteht kein Zweifel: Das ist der Hausgott des Berghains. Dionysos, Herr über alle Hedonisten. Und dort, wo sonst die Darkrooms den Schutz der Dunkelheit bieten, flackern bunte Neonröhren. Nun ja, Kunst kann auch störend sein.
Oder galaktische Anziehungskraft ausüben, und einen hineinkatapultieren in eine andere Welt. So geht es mir bei diesem Gesamtkunstwerk aus Musik und Licht. Zumindest ich fühle es so. Auch weil alles aufgeladen ist mit der Aura von Berghain.
13 DJs legen auf
Ich mache es Dionysos nach. Mein Füllhorn, das sind in dieser Nacht meine Augen und Ohren, die in den nächsten Stunden von Klängen und Bildern geflutet werden. 13 DJs drängeln sich auf der Bühne. In diesem Fall ist das eine Glückszahl. Wow, ist das ein Gewummer und Geblubber!
30 internationale Künstler sind an der Licht- und Sound-Performance beteiligt, darunter die Electro-Punker Rainbow Arabia aus Los Angeles, die gerne Klänge afrikanischer und asiatischer Länder verarbeiten, oder die minimalistische Videokünstlerin Carla Chan, die für ihre digitalisierten Naturaufnahmen bekannt ist. Wie das zusammenpasst? Das wusste vorher keiner.
Dass man im Berghain sowas wagt, hat schon Tradition. Hier hat das Staatsballett gerockt. Auch große Oper ließ den Berghain-Beton bereits erzittern. Daneben gibt es Foto-Ausstellungen. Berühmt sind die von Sven Marquardt, der auch Türsteher ist. Bei den Clubnächten spielen die innovativsten DJs. Vieles davon nachzuhören auf dem hauseigenen Label "Ostgut Ton".
Zugegeben: Meine Freunde hätten an diesem Abend gerne mehr tanzbare Sounds gehört. Die meisten anderen kennen die Berghain-Ekstase nur aus dem Internet. Sie stehen stocksteif herum, nuckeln an ihrer Bierflasche. Auch die junge Frau hinter mir: große Brille, dünne Lippen, verschränkte Arme, Marke Grundschullehrerin.
Unerhörte Stille im Techno-Tempel
Sie geht vor der Zeit. Wie andere auch. Leider. Stimmte der Musikmix nicht? Weckte die legendäre Location unerfüllbare Erwartungen? Die Veranstalter werden das herausfinden. Hauptsache, sie machen weiter.
Mir haben diese Leute am Ende noch ein großes Geschenk gemacht: Stille im Berghain, als schließlich auch die Musik verstummt. Unerhört. Noch nie erlebt.
Diese Nacht ist anders.