Kolumne: Breakdance in Berlin - Ein Symbol für die Freiheit
24. September 2017Übers Wasser gehen, das war gestern. Es gelang einem gewissen Jesus auf dem See Gennezareth. Die Details kann jeder in der Bibel nachlesen.
Aber fliegen über den Erdboden und das in blitzschnellen, eleganten Bewegungsfolgen: das ist eine völlig neue Dimension. Sowas gelingt den "Flying Steps".
Wenn ich die jungen Tänzer so federleicht über den Tanzboden wirbeln sehe, dann spüre ich sie noch, diese unbändige Freiheit, die in Berlin mittlerweile Mangelware geworden ist. Diese Tänzer sind nicht nur gleichsam befreit von den Gesetzen der Schwerkraft, sondern auch von Konventionen und Zwängen.
Tanz ohne staatliche Zuschüsse
Okay, künstlerische Freiheit gibt es in Berlin auch bei Clubs, Galerien oder Theatergruppen. Aber die nehmen sich vor allem die Freiheit, die Hand aufzuhalten für staatliche Zuschüsse und andere Vergünstigungen. Routine und Erstarrung sind so manches Mal der Preis dafür. Die Flying Steps haben es aus eigener Kraft geschafft. Mit Null-Toleranz für künstlerische Kompromisse oder müde Bequemlichkeit.
Am Anfang, vor gut 25 Jahren, reichten ein Pappkarton, ein Ghettoblaster und ein paar "Junx" aus dem Kiez, mit denen man sich im "Battle" messen konnte. Das war für Flying-Steps-Gründer Vartan Bassil und seine Freunde der Himmel auf Erden. Heute sind die Flying Steps mehrfache Breakdance-Weltmeister und eine Entertainment-Großmacht mit 35 Tänzern, einer Academy und zwei weltweit tourenden Shows: Red Bull Flying Bach und Flying Illusion.
Doch es ist kaum zu glauben: Der ungebundene Spirit der Hinterhöfe ist immer noch spürbar. Überall bei den Flying Steps begegne ich ihm. Auch beim 13-jährigen Adamant Nithiprasoet. Er strahlt mich an, als er erzählt, dass er dreimal die Woche bei den Flying Steps trainiert. Das Kräftemessen und das Ausprobieren findet er cool.
Breakdance befreit
Adamant ist mit einem Foto für meinen Artikel einverstanden. Ohne dass ich etwas sage, macht er zwei, drei rasche Sätze, stürzt sich kopfüber und "posed" für mich mit einer ziemlich halsbrecherischen Figur. Später sehe ich ihn wieder beim Training, wo er einen älteren Jungen spielerisch herausfordert. "Die zicken sich jetzt wirklich an", erklärt mir Mikel (bürgerlicher Name Michael Rosemann), der bei den "Flying Steps" fast von Anfang an dabei ist und sich jetzt als Trainer um die Academy kümmert. "Wow", entfährt es ihm, als der Größere überraschend mit einer power-move-Spezialität um die Ecke kommt.
Da ist sie wieder, diese getanzte Freiheit: Abgesehen von den Basic Steps ist jeder Tänzer total frei, seinen eigenen Stil zu finden: "Das haben wir immer genossen. Und das ist der Grund, warum sich der Breakdance in den letzten 25 Jahren so entwickelt hat", sagt mir Mikel und strahlt dabei wie ein Teenager. Über das Akrobatische des Hip Hop hinaus haben die "Flying Steps" Ballett, Gymnastik, Ausdruckstanz und sogar klassische Musik hinzugefügt. Ich nenne das mal die Berliner Freestyle-Variante des Breakdance.
Frischzellenkur für Berlin
Die Zukunftspläne sind ehrgeizig. Ab Mai 2018 soll in Berlin vier Wochen lang das Theater am Potsdamer Platz bespielt werden. Außerdem geht es nach Brasilien, zum Musikfestival "Musica em Trancoso". Der große Traum aber bleibt Las Vegas: Im Mutterland des Breakdance wollen die Berliner zeigen, wo der Hammer hängt.
Na wo denn nur? Natürlich in Berlin! Dafür stehen auch die 1200 Schüler, die sich in der Academy in Berlin-Kreuzberg fröhlich quälen. Die Resonanz ist so überwältigend, dass man expandiert und weitere Trainingsräume anbaut. Den Gedanken, sich dafür finanzielle Unterstützung beim Berliner Senat zu besorgen, haben die Flying Steps schnell wieder verworfen. Sie wollen unabhängig sein. Sie tanzen lieber selbstbestimmt, als nach der Pfeife der Berliner Bürokratie.
Durch die gläsernen Trainingsräume sehe ich, wie die Jugendlichen sich gegenseitig pushen. Alle haben sie eine aufrechte, freie Körpersprache. "Danke, dass du das aus meinem Sohn gemacht hast", habe ihm neulich ein Vater gesagt, erzählt Mikel. Dem Vater ging es nicht um körperliche Ertüchtigung, sondern um das neu geschaffene Lebensgefühl seines Sohnes, das sich auf die ganze Familie übertrage.
Mensch, das könnte doch was für ganz Berlin sein, denke ich: Breakdance als Frischzellenkur für erstarrte und frustrierte Berliner aus Kunst, Kultur und Politik. Vom Dreijährigen bis zum Greis sei Breakdance möglich, macht Mikel Mut. Für Berlin besteht also noch Grund zur Hoffnung.