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Kolumne: Mein wunderbares Berlin

Gero Schließ
5. März 2017

Manchmal sind die Übergänge zwischen Bühne und Wirklichkeit fließend. So ging es unserem Kolumnisten Gero Schließ bei der Operette “Ball im Savoy“ in der Komischen Oper. Das hat seine Liebe zu Berlin neu entfacht.

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Komische Oper Berlin "BALL IM SAVOY"
Bild: drama-berlin.de/Iko Freese

Was für eine Nacht! Berlin, ich habe dich niemals so quirlig, so ungezügelt, so humorvoll erlebt! Und ich dachte immer wieder: Ja, genau so bist du. Genauso fühlt es sich an.

Ich spreche – von einer Operette. Dass die mich so gewaltig gepackt hat, das habe ich zwei Künstlern zu verdanken: Paul Abraham und Barrie Kosky.

Der Ball im Savoy

08.2016 Kolumne Gero Schließ
Vom Ball im Savoy in den Technoclub: DW-Kolumnist Gero Schließ

Paul Abraham war einer der gefragtesten Berliner Operettenkomponisten, bis die Nazis seiner Karriere ein abruptes Ende bereiteten. Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper, hat Paul Abrahams Operette "Ball im Savoy"    vor einigen Jahren inszeniert und jetzt wieder auf die Bühne gebracht (siehe Artikelbild oben).

Für mich war es die erste Begegnung mit dem "Ball im Savoy". 1932 hatte Abraham die Operette in Berlin geschrieben und dort auch uraufgeführt.   

Es ist eine turbulente Geschichte um ein frisch verheiratetes Promi-Paar, dessen eheliche Treue auf eine harte Probe gestellt wird (Dagmar Manzel als Madeleine de Faublas, Christoph Späth als ihr Mann Aristide). Beim Ball im Savoy erreichen die Liebeseskapaden schließlich - ja - ihren Höhepunkt. Beide Ehepartner vergnügen sich mit einem anderen - und das Wand an Wand.

Damals Ball, heute Technoclub 

Komische Oper Berlin "BALL IM SAVOY"
Berliner Nachtleben: Szene aus Paul Abrahams Ball im Savoy Bild: drama-berlin.de/Iko Freese

Und plötzlich bringt einen diese Geschichte ins hier und jetzt. Wir sind mittendrin in Berlin, seinem Nachtleben, seinen Versuchungen. Heiße Partys, schöne Menschen, schneller Sex, ein bisschen Untreue und viele prickelnde Abenteuer. 

Der "Ball im Savoy" fühlt sich an wie der Tanz im Technoclub: verschwitzt, trunken, taumelnd. Eine Hymne auf Berlin – gestern und heute.

Das, was Barrie Kosky dreieinhalb Stunden in einer atemberaubenden Revue auf die Bühne zaubert, ist grell, bunt und voller (Wort-)Witz. Es ist aber nicht das schnelle Abfackeln von Reizen. Es hat Seele. Berlin-Seele.

Denn die Menschen hier sind so gar nicht "Berliner Schnauze". Sie sind gemütvoll, zeigen ihre Gefühle ganz offen und unverstellt. Auch wenn es schmerzt. Das hat mich immer wieder ins Herz getroffen.

Barrie Kosky
Er inszenierte: Barrie Kosky ist Intendant der Komischen OperBild: Jan Windszus

"Ich habe einen Mann, der mich liebt", singen die beiden Frischvermählten kurz nach der Rückkehr von ihrer Hochzeitsreise. Doch bald fallen sie aus dem warmen Kuschelnest der ehelichen Liebe in die freie Wildbahn der nächtlichen Glückssuche. Und sofort hört man Ironie und Sarkasmus aus dem Lied heraus. Und später dann soviel Melancholie und Sehnsucht.

Sog der Berliner Nacht

Paul Abrahams Musik atmet die Berliner Club-Welt, so wie er sie erlebte und erforschte, als er 1930 von Wien nach Berlin zog. Die Musik schmeckt und riecht nach dieser Stadt. Das macht sie so authentisch und zeitlos, zumindest für meine Neu-Berliner Ohren.

"Es ist so schön, am Abend bummeln zu gehen", heißt es an mehreren Stellen in der Operette. Und wer ahnt nicht, dass Berlin hierfür das ideale Pflaster ist.

Aber jeder Abend, jede Nacht hat auch ein Ende, und auch die größte Liebe ist davor nicht gefeit. "Einmal, da schlägt uns die Stunde, in der wir unser Sehnen einsam tragen", sagt Paul Abraham in einem seiner anrührendsten Songs voraus. Und wir ahnen, dass es auch uns treffen könnte.

Doch, wer weiß; Wenn überhaupt, dann sind das erst die Sorgen von Morgen. Erstmal lasse ich mich anstecken vom Bazillus des Berliner Nachtlebens. Und hineinziehen in seinen Sog. Ich gehe noch lange tanzen. Bis in die Morgenstunden. Was für eine Nacht!