Kolumne: Berlin wächst – kein Grund zum Feiern!
15. Januar 2017Groß, größer, Berlin. Die Stadt wächst und wächst und wächst. Bevor die Sektkorken knallen und die Party steigt - sorry, liebe Berliner, das ist kein Grund zum Feiern! Denn über allem steht drohend ein riesengroßes Fragezeichen. Wächst die Stadt über sich selbst hinaus – oder marschiert Berlin mit stolzgeschwellter Brust in den Abgrund? Treibt das wilde Wuchern die Stadt ins finale Chaos, weil der jetzt schon aufgehäufte Problemberg mitwächst, nicht aber die Lösungskompetenzen? Oder führt das Ganze doch noch zum Happy End, zu einer goldenen Zukunft als vielbestaunte Kultur- Welt- und Noch-viel-mehr-Metropole?
Eine gerade veröffentlichte Wachstums-Prognose des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hat die Diskussion über Berlins Zukunft wieder angeheizt. 3,5 Millionen Menschen leben hier derzeit. Bis 2035 werden es nach Vorhersage des IW vier Millionen sein. Der Berliner Senat sieht die Stadt sogar noch rasanter wachsen: Schon 2025, also in weniger als acht Jahren, soll die 4 Millionen Schallgrenze durchbrochen sein. Menschen aus dem Ausland sind es vor allem, die nach Berlin kommen und Ausbildung und Arbeit suchen. Nicht nur Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten, sondern auch viele junge Männer und Frauen aus den EU-Krisenländern: Spanier, Italiener, Griechen, Portugiesen – und seit dem Brexit auch immer mehr Briten.
Berliner und sein Problemberg
Sie sind willkommen, doch schon von weitem grüßt der Problemberg. Der war ja schon lange vorher da. Ganz oben ist da die Wohnungsnot. Schon in den vergangenen fünf Jahren kamen fünfmal mehr Menschen nach Berlin als Wohnungen entstanden. Nach Expertenschätzungen fehlen jetzt schon um die 125.000 Wohneinheiten. Der neue rot-rot-grüne Senat verspricht 55.000 zusätzliche landeseigene Wohnungen bis zum Jahr 2021. Das reicht noch nicht mal zum berühmten Tropfen auf dem heißen Stein.
Kein Politiker spricht es aus, aber es ist offensichtlich: In Berlin herrscht Notstand, es fehlt am Notwendigsten. Neben Wohnungen sind das Schulen, Lehrer, Kindergartenplätze, öffentlicher Nahverkehr, Verwaltungskapazitäten und ja, es fehlt an Politikern, die einen Plan haben.
Bei allem, was so krisenverdächtig nach oben wächst in Berlin, schauen sie angestrengt weg. Dabei gibt es auch noch von anderen Dingen immer mehr: mehr Kriminalität, mehr Gewalt, mehr unsichere Nachbarschaften, mehr Baustellen, mehr Verkehr, mehr Verkehrstote, mehr Obdachlose, mehr Harz IV Empfänger und höhere Mieten und Immobilienpreise. Aber auch mehr Patienten, mehr Rentner, mehr Kindergartenkinder und mehr Schüler. Und mehr schlechte Noten in Mathe als sonst überall in Deutschland.
Berliner Staatssekretäre im Überfluss
Ein Plan? Nicht doch! Aber immerhin eine steil ansteigende Kurve in einem Kernkompetenzfeld Berliner Politik. Nein, nicht die Lernkurve, sondern die Lernvermeidungskurve. Manche nennen es auch schlicht Inkompetenz. Gerade sagte beispielsweise die Berliner Bildungssenatorin im Radio, dass dringend 30 neue Schulen gebaut werden müssten. Doch von der Planung bis zur Fertigstellung dauert es in Berlin schlappe 9 Jahre. Gleichzeitig werden Millionenbeträge für Schulsanierung und Neubau nicht abgerufen.
Richtig gut läuft es dagegen mit der politischen Begleitung in eigener Sache. Gleich 25 fette Staatssekretärs-Jobs hat sich der neue rot-rot-grüne Berliner Senat genehmigt. Das ist Selbstbedienungs-Rekord, nicht nur in Berlin, sondern in Deutschland.
Wachsen und gedeihen. Das gehörte einmal zusammen, wenn es ums Allgemeinwohl ging. Es sieht so aus, als habe Berlin dieses Naturgesetz aufgekündigt.