Braunkohle her, Dörfer weg
24. März 2019Die Vögel zwitschern in den Giebeln der leeren Häuser, in der Ferne hört man Maschinen, wie sie Hauswände zu Fall bringen und Steine zertrümmern. Der Braunkohletagebau Garzweiler II im Rheinland ist nur noch einen Steinwurf entfernt von Immerath - bald wird das Dorf zu Staub zerfallen.
Immerath war früher eine lebendige Dorfgemeinschaft mit Sportverein, Kirche und Kindergärten, heute sind die Fensterläden aller Häuser verbarrikadiert oder zugemauert. Aus der offenen Garage eines mit Efeu überwucherten Einfamilienhauses schaut ein ausgeschlachteter Kleinwagen gespenstisch auf die Straße der verlassenen Siedlung, an dessen Ende die Abrissarbeiten bereits begonnen haben.
Mehr dazu: Die Kohlekommission hat geliefert - was nun?
2017 mussten die letzten Einwohner ihre Häuser verlassen. Seitdem steht das Dorf leer - zwischen Feldern, einem Friedhof und den Baggerschaufeln des Energiekonzerns RWE, der sein Fördergebiet seit Jahrzehnten ausbaut. Zum Leidtragen der Anwohner.
Im Rheinischen Kohlerevier sind seit Ende des zweiten Weltkriegs dutzende zum Teil Jahrhunderte alte Ortschaften dem Tagebau zum Opfer gefallen. Und noch ist kein Ende in Sicht.
In den nächsten neun Jahren sollen fünf weitere Dörfer im Rheinland erst verlassen und später dem Erdboden gleich gemacht werden.
"Mich erinnern diese Geisterdörfer irgendwie an Bürgerkriege. Wo wirklich komplette Städte einfach leergebombt sind", sagt David Dresen, während er über die Pferdewiese hinter dem Haus seiner Familie in Richtung Hühnerstall spaziert.
Die Familie des 27-Jährigen lebt seit Generationen – seit 1862 – in Kuckum. Sie leben auf einem 14.000 Quadratmeter großen Hof, inklusive Gemüsegarten. Kuckum ist eins von fünf Dörfern in der Gegend, die bis 2028 für die Kohle geräumt sein sollen. Als Entschädigung habe RWE der Familie Dresen ein Grundstück in einem Neubaugebiet angeboten, das einem Siebtel der jetztigen Grundstücksfläche entresprechen würde, so Dresen. Ihr Haus freiwillig zu verlassen komme daher für die Familie "überhaut nicht in Frage."
"Das ist unser Zuhause, meine Heimat!" sagt Dresen, der sich im landesweiten Zusammenschluss "Alle Dörfer bleiben" gegen die Zwangsumsiedlung durch die Kohleindustrie engagiert.
Groß angelegte Proteste und Klagen gegen die Umsiedlungen führten bisher nicht zum Erfolg.
Noch genügend Kohle vorhanden?
Das schmälert nicht die Wut der Bewohner auf den Konzern und die Landesregierung. Zumal ein Ende der Kohleförderung in Deutschland und damit auch des Tagebaus Garzweiler II in der nächsten Dekade absehbar ist.Sie berufen sich auf eineStudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Sie kommt zu dem Schluss, dass in den bereits genehmigten Abbauflächen genügend Kohlemengen vorhanden sind und die bedrohten Dörfer erhalten bleiben könnten. Dennoch sollen bis dahin im Rheingebiet noch über 1000 Menschen umgesiedelt werden.
RWE schreibt der DW in einer Stellungnahme dazu: "Die Studie geht von unrealistischen Annahmen aus und unterstellt zum Beispiel Kohlemengen, die schlicht falsch sind. Zudem betreibt die Studie bei dem Thema Umsiedlung Augenwischerei. Die Umsiedlungen laufen schon sehr lange und der überwiegende Teil der Menschen hat sich längst zur Umsiedlung entschieden. Den Prozess jetzt zu stoppen wäre unverantwortlich."
Man müsse die Umsiedler "besser begleiten", darum wolle er sich kümmern, sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet noch kürzlich bei einem Ortsbesuch gegenüber lokalen Medienvertretern.
Barbara Oberherr aus dem Nachbardorf Keyenberg, sagt, sie habe davon bisher nichts mitbekommen. Zumal sie keine Begleitung wolle, sondern einfach auf ihrem Fleck Land bleiben möchte.
Bereits ein Drittel der Häuser steht leer
Der Stammbaum ihrer Familie reicht mehrere hundert Jahre zurück, alle lebten in Keyenberg, dem Nachbarort von Kuckum. Bis spätestens 2028 sollen auch hier die Fenster zugemauert werden, bevor die Bagger kommen. "Das ist ein extrem emotionales Thema für mich. Was das mit einem machen… Das ist die Heimat meiner gesamten Familie. Unsere Geschichte", sagt sie.
Noch scheint Keyenberg ein gewöhnlicher ruhiger Ort zu sein. Denn noch fällt nicht auf, dass bereits ein Drittel aller Häuser leer steht. Mehrere Leute haben ihre Häuser bereits verkauft. "Auch weil RWE am Stadtrand bereits Pumpanlagen zur Erschließung des Gebiets installiert hat", sagt Oberherr. "Der Lärm macht es einfach unattraktiv, länger dort zu bleiben. Wir werden hier zunehmend verdrängt."
Sie sagt sie könne nur hoffen, dass die Politik endlich begreift, was das für die Menschen vor Ort bedeutet. "In diesen Neubaugebieten gehen die Leute ein. Alte Menschen sterben dort schneller. Die kommen mit der Umsiedlung nicht klar."
Sie selbst werde erst gehen, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Dann auch wird sie den Ort verlassen. Keyenberg als Geisterdorf, dort wolle sie nicht bleiben.
Ob dann in einen Neubau oder ganz weg, die Entscheidung hat der Großvater von David Dresen schon gefällt: Er würde lieber sterben als seine Heimat aufzugeben.