Knesset-Wahl zwischen Eminenz und Jungstar
22. Januar 2013In einem Shopping-Center in Rechovot, einer Kleinstadt im Zentrum Israels, werben die Wahlhelfer noch lautstark für ihre Kandidaten und Parteien. 34 Listen wollen in die Knesset einziehen. Am Stand des rechtsorientierten Wahlbündnisses Likud-Beitenu gibt sich Wahlhelfer Eyal zuversichtlich: "Wir brauchen einen starken Premierminister, und ich hoffe, Likud bekommt viele Stimmen", sagt der junge Mann und hält dabei das Wahlplakat mit Benjamin Netanjahus Porträt fest in den Händen. "Wir haben den besten Premierminister, wir brauchen ihn nicht auszuwechseln", bestätigt eine ältere Dame. "Nur er kann uns Sicherheit geben."
Doch auch Netanjahu sieht sich mit schwankenden Umfragewerten konfrontiert. Der wahltaktische Zusammenschluss seiner Likud-Partei mit der rechtsnationalen Partei Israel-Beitenu von Außenminister Avigdor Liebermann hat ihn letztlich Stimmen gekostet. Liebermann musste wegen Betrugsvorwürfen sein Amt aufgeben und ist, zumindest bis zu seinem Prozess, politisch eher eine Belastung. Stimmen verliert der amtierende Premier auch ans rechte Lager: an den Shootingstar des Wahlkampfs, Naftali Bennett. Der 40-jährige Bennett hat erst im November den Vorsitz der national-religiösen Partei Bajit Jehudi ("Das jüdische Haus") übernommen. Die saß bislang mit drei Sitzen in der Regierungskoalition. Jetzt könnte die ultrarechte Partei zwischen 12 und 14 Sitzen holen.
Junger Aufsteiger macht Netanjahu Konkurrenz
Naftali Bennett, früherer High-Tech-Unternehmer und Elitesoldat, gibt der Partei ein modernes und neues Gesicht. Im kleinen Ort Rosh HaAyin ist er auf Wahlkampf-Tour. Viele junge Leute sind gekommen. Der 19-jährige Yaron wählt zum ersten Mal und will Bennetts Partei seine Stimme geben. "Er ist glaubwürdig und hat mich wirklich überzeugt. Ich denke, er kann etwas für Israel bewegen", meint der junge Mann.
Auf seinen Wahlveranstaltungen spricht Bennett gerne vom "jüdischen Frühling" und einer Rückkehr zu jüdischen Werten. "Unsere Priorität ist es, die Probleme in Israel zu lösen. Die Wohnpreise sind um 40 Prozent gestiegen, das Einkommen reicht nicht zum Leben", sagt er im Gespräch mit der DW. "Außerdem müssen wir aufhören, über ein 'Ja' oder ein 'Nein' zu Palästina zu reden." Einen Palästinenserstaat lehnt Bennett ab: "Wenn man jahrelang mit dem Kopf an die Wand gerannt ist, dann muss man neu nachdenken, seine Pläne ändern, um zu einem De-facto-Frieden zu kommen", sagt er selbstbewusst. Ginge es nach ihm, sollte Israel die sogenannten C-Gebiete annektieren - rund 60 Prozent des Westjordanlands.
Die Hardliner-Thesen des politischen Newcomers sorgen vor allem im Ausland für Schlagzeilen. In Israel hat seine schnell wachsende Popularität überrascht. "Er ist charismatisch, jung, religiös, aber wirkt moderner als bisherige religiöse Parteipolitiker. Dazu kommt er aus der High-Tech-Branche, war in einer Eliteeinheit des Militärs", meint Politikwissenschaftler Tamir Sheafer von der Hebräischen Universität. Das mache ihn auch für eine breitere Masse attraktiv. Im rechten Lager versammle er all jene, die gegen eine Zweistaatenlösung sind.
Auf dem Uni-Campus ist nicht jeder von ihm beeindruckt. "Mich ärgert dieser Hype um Bennett", sagt eine junge Politikstudentin. "Aber es ist schon so: Die Leute sehen keine Lösung mehr, sie haben den Friedensprozess begraben. Da kommt so etwas gut an." Ein anderer Student beschreibt die Stimmung in Israel so: "Immer wenn es schwierig ist, ob nach einem Konflikt wie in Gaza, wirtschaftlich oder sozial, dann rücken wir nach rechts. Das ist ein einfaches Muster, aber in Israel ist das leider so."
Gemischte Stimmung vor der Wahl
Überhaupt ist die Stimmung in Israel vor der Wahl gemischt. Es mag daran liegen, dass so mancher glaubt, es werde sich nicht viel ändern. Und rund 15 Prozent der Wähler sind gar noch unentschlossen, so eine Umfrage der Tageszeitung "Haaretz" am Freitag. Auf dem Rothschild-Boulevard im Zentrum von Tel Aviv, wo vor zwei Jahren der israelische Protestsommer seinen Ursprung hatte, überwiegt die Skepsis. "Jeder geht davon aus, dass Netanjahu sowieso Premierminister bleibt", sagt Neta, eine Passantin. "Aber ich hoffe, dass es zumindest eine starke linke Opposition gibt. Obwohl von der Linken nicht mehr viel übrig ist. Sie nennen sich ja jetzt die neue Mitte."
Auch Ronny Edry, ein Grafikdesigner, war bei den Sozialprotesten vor zwei Jahren dabei. Später hat er mit der Internet-Kampagne "Israel loves Iran" gegen die Kriegsrhetorik der Netanjahu-Regierung protestiert. Edry ist kritisch, was das Vermächtnis des israelischen Protest-Sommers angeht. "Es hat nichts geändert, im Gegenteil. Und die politische Rechte hat das realisiert, weil wir unsere Forderungen nicht wirklich umgesetzt haben. Die Preise steigen immer noch, alles geht so weiter", sagt der 41-Jährige.
Immerhin kandidieren zwei Anführer der Sozialproteste von damals auf der Liste der Arbeitspartei, die zweitstärkste Partei werden könnte. Wer aber vom Mitte-links-Lager in eine mögliche Regierungskoalition mit Netanjahu einsteigen wird, ist noch unklar. Für Ronny Edry steht nur eines fest: "Die Leute in Israel müssen sich entscheiden, und im Moment treffen sie meiner Meinung nach die falschen Entscheidungen. Wir bekommen mehr Siedlungen und rücken immer weiter nach rechts. Das lässt uns am Ende mit dem Rücken zur Wand stehen."