Klopp, der Unvollendete
18. Mai 2016Am Ende wusste auch er nicht mehr weiter. Seine Miene versteinert, die Lippen zusammengekniffen, der Blick starr. Seltsam emotionslos verfolgte Jürgen Klopp die Schlussphase dieses Europa-League-Finals, das so gar nicht laufen wollte, wie er sich das vorgestellt hatte. Nach verheißungsvollen 45 Minuten in Basel lag sein Team auf Titelkurs, nach 90 Minuten war Liverpool entzaubert. Der FC Sevilla war an diesem Abend - wieder einmal - die clevere und effizientere Mannschaft, das musste auch Klopp einsehen. Sein Traum, nach dem mit Dortmund verlorenen Champions-League-Finale von 2013 nun endlich mit Liverpool den ersten Titel zu holen, war geplatzt.
Sofort zählen es die Statistiker auf: das fünfte verlorene Finale in Folge für Klopp. Kann der überhaupt Finale? Eine Frage, die natürlich vieles verkürzt. Natürlich sind die verlorenen Endspiele mit Dortmund (einmal Champions League, zweimal DFB-Pokal) sowie Liverpool (Liga-Pokal und Europa League) nicht nur Niederlagen des Trainers, sondern des gesamten Teams. Mal fehlte ihm der entscheidende Spieler (Mario Götze), mal seinem Team die Frische, mal das Glück. So auch im Finale von Basel. Drei Handspiele von Sevilla im Strafraum ignorierte der Schiedsrichter. Situationen, die dem Spiel eine ganz andere Wendung hätten geben können. So bleibt Klopp vorerst der Unvollendete. Ein brillianter Trainer, ein noch größerer Motivator, ein feinfühliger Kenner seiner Spieler. Und auch einer, der Erfolge und Titel sammelt - nur eben in letzter Zeit nicht mehr.
"Ich trage die Verantwortung"
"Wir haben den Glauben verloren. Ich kann meine Spieler nicht kritisieren, ich trage genauso die Verantwortung. Wir müssen aus dieser Erfahrung lernen", sagte Klopp nach der Partie. Er stellte sich wie immer schützend vor sein Team. Der Trainer als Vaterfigur. So war es in Dortmund, so ist es in Liverpool.
Jürgen Klopp ist eine Type, auf dem Platz wie daneben. Schlagfertig, humorvoll, authentisch. Nicht umsonst ist der 48-jährige Trainer in den Medien ständig präsent und auch in der Werbung ein gefragter Mann. Klopp arbeitete als Fernsehexperte, wurde zum Brillenmann des Jahres gekürt und sogar seine Haartransplantation sorgte für Schlagzeilen. "Kloppo", wie er schon zu seiner Zeit als Spieler gerufen wurde, kommt einfach gut rüber.
Fußball-Handwerker
Geboren wurde Jürgen Klopp in Stuttgart, im Schwarzwald wuchs er auf. Als Fußballer ging er auf Torejagd - und auf Wanderschaft. Fast im Jahresrhythmus wechselte er die Vereine, ehe er schließlich 1990 beim FSV Mainz 05 seine sportliche Heimat fand. Elf Jahre lang spielte Klopp für die Mainzer, zunächst als Stürmer, später als Verteidiger. Er galt eher als Fußball-"Handwerker" denn als filigraner Techniker. Mit 325 Einsätzen wurde Klopp nicht nur Zweitliga-Rekordspieler des FSV, sondern auch zur Führungspersönlichkeit in der Mannschaft.
Zwischen Fair Play und Ausrastern
Nahtlos schaffte er 2001 den Sprung auf die Trainerbank. Als die Mainzer abzusteigen drohten, beförderten die Verantwortlichen des Vereins den damals 33-Jährigen, der ohnehin gerade verletzt war und nicht spielen konnte, kurzerhand zum Cheftrainer. Klopp gelang das Kunststück, die Mainzer vor dem schon sicher geglaubten Abstieg zu retten. Zweimal hintereinander verpasste der Club danach nur äußerst knapp den Aufstieg in die Bundesliga. Klopp reagierte darauf nach Ansicht des Verbandes Deutscher Sportjournalisten so „besonnen und ruhig“, dass er dafür den Fair-Play-Preis erhielt. Eine einmalige Ehrung. Später leistete sich Klopp einige Ausraster gegen Schiedsrichter, die ihm den Ruf eintrugen, sein aufbrausendes Temperament nicht immer unter Kontrolle halten zu können.
Treue auch bei Abstieg
2004 durften Klopp und seine Mainzer dann doch über den Aufstieg jubeln. Klopp war zu diesem Zeitpunkt längst zur Mainzer Kultfigur geworden. Er ließ seine Mannschaft frech und offensiv spielen und hatte damit Erfolg - bis 2007, als der FSV wieder abstieg. Klopp blieb den Mainzern treu. Erst als er in der nächsten Saison den direkten Wiederaufstieg verpasste, kehrte er 2008 dem Verein den Rücken, nach 18 Jahren als Spieler und Trainer.
Meisterschaft, Double und Champions-League-Finale
Klopp heuerte bei Borussia Dortmund an, das nächste Fußballmärchen begann, diesmal in Schwarz-Gelb. Die Beinahe-Insolvenz des BVB lag gerade einmal drei Jahre zurück. Klopp erhielt alle Freiheiten, um eine junge, erfolgshungrige Mannschaft aufzubauen, die das von ihm propagierte schnelle Umschaltspiel zwischen Abwehr und Angriff umsetzen sollte. Nach drei Jahren rockte Klopps Team den deutschen Fußball. 2011 wurden die Dortmunder Deutscher Meister, 2012 holten sie sogar das Double. Viel fehlte nicht und der BVB hätte sich ein Jahr später sogar die europäische Krone geholt, doch Dortmund verlor 2013 das "deutsche Finale" der Champions League gegen den FC Bayern München in London mit 1:2.
Ohne den alten Glanz
Nach zwei Vizemeisterschaften hinter den Münchenern riss in der Saison 2014/15 die Erfolgsserie Dortmunds und damit auch die Jürgen Klopps. Der BVB überwinterte auf einem Abstiegsrang, berappelte sich in der Rückrunde zwar einigermaßen, ohne jedoch zu altem Glanz zurückzufinden. In der Champions League scheiterte Dortmund im Achtelfinale klar an Juventus Turin. Klopp wirkte zunehmend gereizt und dünnhäutig. Seine Witze klangen nun eher zynisch als lustig. Er erweckte den Eindruck, als bräuchte er einen neuen Ort und eine neue Aufgabe, um ein weiteres Märchen auf den Weg zu bringen. Mit Liverpool wäre es ihm beinahe direkt in der ersten Saison gelungen. Das Wörtchen "beinahe" sollte nicht ewig zwischen Klopp und einem europäischen Titel stehen.