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Klopapier - das Symbol der Krise

22. März 2020

Die Deutschen hamstern und horten. Kaum spitzt sich die Corona-Krise zu, outet sich ein weit unterschätztes Kultur- und Wirtschaftsgut: das Klopapier! Warum das so ist? Die Welt rätselt.

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Pyramide aus Toilettenpapier vor weißem Hintergrund
Bild: picture-alliance/dpa/chromorange

In einem aktuellen viralen Videoclip bestellt ein Mann einen Kaffee to go. Als es ans Bezahlen geht, zückt er eine Rolle Klopapier, reißt zwei Tissue-Blätter ab und zählt sie auf dem Tresen. Ein drittes Blatt steckt er dem Barista großzügig in die Brusttasche. Das Netz quillt derzeit über vor Witzen über ein überraschendes Phänomen: Klopapier ist gefragt wie nie. In vielen Supermärkten ist es ausverkauft, es soll sogar schon zu Rangeleien und Prügelszenen um Klopapierpakete gekommen sein. Die Corona-Krise ist noch jung. Ist Klopapier schon jetzt zur Ersatzwährung aufgestiegen?

So weit geht Britta Krahn nicht. Die Professorin für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg erklärt den massenhaften Ansturm auf Klopapier mit einem situationsbedingten Herdenverhalten: "Dies ist der Moment des maximalen Kontrollverlusts", sagt sie, "der maximalen Unsicherheit und der größten Veränderung." Das gesellschaftliche Leben sei gerade erst von Hundert auf Null heruntergefahren worden. "Niemand weiß, was noch kommt."

Gleichwohl würden jetzt viele versuchen, Kontrolle zurück zu gewinnen. Wenn Schutzmasken und Desinfektionsmittel ausverkauft sind, "nimmt man eben, was noch geht und was nicht schlecht wird." Ist der Kauf von Klopapier also eine Übersprungshandlung? "Klopapier ist zur Metapher für Sicherheit - wenn nicht gar zum Symbol der Corona-Krise - geworden." Und Sinnbild für alles Eklige, was man mit dem Virus verbindet.

Frühes Klo-"Papier": Arschwurzen

Scheinbar folgen damit die Deutschen - und nicht nur sie - einer historischen Gepflogenheit. Schon in der Bronzezeit wurden Pestwurzen-Blätter als Toilettenpapier verwendet, so lassen archäologische Funde im ältesten Salzbergwerk der Welt bei Hallstadt im oberösterreichischen Salzkammergut vermuten. Die alt bekannte Heilpflanze trägt noch heute in Bayern die volkstümliche Bezeichnung "Arschwurzen".

Bis das erste Toilettenpapier zum Einsatz kam, wurden Lumpen oder Schwämme verwendet, manchmal sogar lebendes Federvieh, wie der Schweizer Historiker und Biologe Daniel Furrer in seinem Buch "Wasserthron und Donnerbalken. Eine kleine Kulturgeschichte des stillen Örtchens" berichtet. Die linke Hand war in vielen Kulturen, insbesondere Asiens, der Körperreinigung vorbehalten, die rechte dem Händedruck und der Nahrungsaufnahme.

Moos und Heu für den Allerwertesten

Zum ersten Mal tauchte das Klopapier in chinesischen Annalen des 6. Jahrhunderts auf. Der britische Sinologe und Wissenschaftshistoriker Joseph Needham (1900-1995) zitierte den Gelehrte Yan Zhitui (531–591): "Ich würde es nie wagen, Papier mit Zitaten oder Kommentaren aus den Fünf Klassikern oder Namen von Weisen darauf für die Toilette zu verwenden."

Und im Jahr 851 schrieb ein Reisender: "Sie (die Chinesen) sind nicht sehr sorgfältig mit Sauberkeit, und sie waschen sich nicht mit Wasser, wenn sie ihr Geschäft erledigt haben, sondern wischen sich nur mit Papier ab." Der kaiserliche Hof in Nanjing habe 1393 etwa 720.000 Blatt Toilettenpapier mit einer Größe von 2 mal 3 Fuß (etwa 60 mal 90 Zentimenter) verbraucht, Kaiser Hongwu und seine Familie nutzten allein 15.000 Blatt einer, wie es heißt, "besonders weichen und parfümierten Toilettenpapiersorte".

Heuballen in Schwarz-Rot-Geldener Verpackung
Sogar Stroh verwendeten die Menschen im Mittelalter zum Abwischen des AllerwertestenBild: picture-alliance/dpa/D. Ebener

Im Europa des Mittelalters verwenden die Menschen dagegen noch alte Lappen, Stoffreste, oder Wollbällchen, um den Allerwertesten zu reinigen. Bisweilen mussten auch Moos, Blätter, Heu und sogar Stroh herhalten, wie Sabine Schachtner, die Leiterin des LVR-Industriemuseum Papiermühle Alte Dombach in ihrem Standardwerk "Toilettenpapier. Zur Geschichte der Wischkultur" festhält. Ab dem 16. Jahrhundert tat es dann auch Altpapier.

Klopapier mit Seide

Interessant auch, was Archäologen bei Ausgrabungen mittelalterlicher Latrinen in der alten Hansestadt Tartu, heute Estland, herausfanden: Bei Textilresten aus Haushalten, die als Toilettenpapier genutzt wurden, fanden die Forscher qualitative Unterschiede, die Rückschlüsse auf den sozialen Status des Herkunftshaushaltes erlaubten. Danach stammten aus wohlhabenden Haushalten die in Streifen gerissenen, feinen und weichen Wollstoffe aus Alltagskleidung, denen vereinzelt sogar noch seidene Applikationen anhefteten. Dagegen rührten die Textilreste der sozial schlechter gestellten Haushalte aus eher groben, einfachen Stoffen.

Die Verbreitung von Zeitungen und dem Aufkommen der industriellen Papierherstellung führte dann auch zum Durchbruch des Papiers als Hygieneartikel. Die Verbreitung des Wasserklosetts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunächst in England erforderte schließlich spezielles Papier, das die Abwasserleitungen nicht verstopfte.

Produktion läuft auf Hochtouren

Ein Imagefilm des Hygienepapierherstellers Fripa im bayerischen Mittenberg führt stolz vor, welchen technischen Fortschritt die Branche seither verzeichnet: Alles fließt, alles rollt, während sich riesige Papierpakete wie von Geisterhand in eine haushohe Maschine schieben. Die rotiert ohne Unterlass, damit am Ende der Produktionsstraße die Klopapierrollen, zu großen Paketen verpackt, herauskommen. Fripa (Werbespruch: "Immer eine Lage besser!") hat im Zuge des Coronavirus seine Produktion massiv hochgefahren. Fertigt die bayerische Firma normalerweise 130.000 Tonnen Hygienepapier im Jahr, ist es jetzt doppelt so viel. Abnehmer sind Großhandel und Einzelhandelsketten.

"Wir produzieren am Limit", sagt Unternehmenssprecher Jürgen Fischer gegenüber der DW, "aber wir kommen nicht nach. Deshalb gibt es jetzt Lieferzeiten." Warum die Leute so wild auf Klopapier seien, könne er sich nicht erklären. "Vielleicht weil es gut zu lagern und nicht allzu teuer ist." Fischer rät einstweilen zu "umsichtigem Kundenverhalten und Gelassenheit".

Hamstern - die Ersatzhandlung des Kämpfertyps

Drei Typen des Klopapierkäufers unterscheidet der Soziologe und Risikoforscher Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor am Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam. "Aus der Risikoforschung kennen wir den Wegschauer, der die Gefahr ignoriert, den Fluchttypen, der sich einigelt - und den Kämpfer." Letzerer werde aktiv gegen die Bedrohung und betreibe etwa Hamsterkäufe als eine Art "Ersatzhandlung". Ob man eher Kampf- oder Fluchttyp ist, sei zum einen angeboren, zum anderen aber auch durch Erziehung und Erfahrung mitbestimmt. Vieles sei jedoch auch situationsbestimmt: Als Autofahrer beispielsweise sei man eher ein Kämpfertyp, als Fußgänger eher ein Fluchttyp.

Ortwin Renn mit weißen kurzen Haare und Bart (Foto: Imago Images/S. Gudath).
Hamstern aus Sicht des Risikoforschers Ortwin RennBild: Imago Images/S. Gudath

Im Wirbel ums Klopapier erkennt Anja Achtziger gar ein "ähnliches Imitationsverhalten wie beim Sonnenbaden im Urlaub". Die Wirtschaftspsychologin von der Zeppelin Universität in Friedrichshafen am Bodensee meint: "Die Leute hören in den Medien, dass andere viel Toilettenpapier kaufen", so Achtziger in der Süddeutschen Zeitung. "Im Job, in der Familie, unter Freunden wird ständig darüber geredet, ob und wie viel man bereits gehortet hat. Wer bis dahin keine Vorräte angelegt hat, wird nervös - und macht es dann schlichtweg nach." Die Klopapierrolle als Zahlungsmittel dürfte indes kaum Schule machen.