Beängstigender CO2-Wert
21. Juni 2012Es war eine kurze Meldung aus Alaska, die in der Öffenlichkeit verpuffte. An einer abgelegenen arktischen Messstation in Barrow, am nördlichsten Punkt der USA, habe die Messung der CO2-Konzentration zum ersten Mal im Monatsdurchschnitt 400 ppm erreicht, so die amerikanische Wetterbehörde NOAA. Was den meisten Menschen wenig sagt, löst bei Wissenschaftlern und Klimainteressierten dagegen Besorgnis aus. Ppm steht für "parts per million", also CO2-Molekülen pro Million Luftteilchen. Der CO2-Gehalt der Atmosphäre ist für die meisten Forschern der Schlüsselindikator für die Entwicklung des Weltklimas - und 400 ppm ist der höchste jemals gemessene Wert.
Mehr CO2 = Erderwärmung
Die etablierte Klimaforschung geht davon aus, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Anzahl der Kohlendioxidmoleküle (CO2-Emissionen) in der Atmosphäre und der Erdtemperatur gibt: Das CO2 speichert demnach die Wärme. Die kann deshalb nicht mehr ins All entweichen - der sogenannte Treibhauseffekt. Auch deshalb habe sich die Erde seit dem 19. Jahrhundert um rund 0,8 Grad erwärmt, so der Weltklimarat.
Neben natürlichen Schwankungen spielen die durch menschliche Aktivitäten verursachten Emissionen eine wichtige Rolle. Welcher Anteil des Anstiegs genau auf sie zurückgeht ist noch unsicher. Neuste Berechnungen gehen von bis zu 75 Prozent aus. Für die Wissenschaftler er NOAA ist der Anstieg der CO2-Konzentration ganz klar auf menschliche Aktivitäten, vor allem die Verbrennung fossiler Energieträger zurückzuführen.
Klimahinweise aus der Vergangenheit
Die ersten akkuraten Messungen der CO2 Konzentration in der Atmosphäre wurden 1958 auf Mauna Loa, Hawaii gemacht. Damals stand der Wert bei 319 ppm. Seitdem entnehmen jede Woche Wissenschaftler und Freiwillige an über 60 Standorten rund um die Welt Luftproben und schicken sie nach Colorado ins Labor der NOAA. An sechs Observatorien wird außerdem der CO2-Gehalt täglich gemessen.
Der CO2-Anteil variiert je nach Jahreszeit mit den Wachstumszyklen der Pflanzen. Wenn die Blätter wachsen, binden die Pflanzen CO2. Trotzdem zeigen die Messungen einen klaren Trend nach oben. Anfang der 60er-Jahre stieg die CO2-Konzentration nach Angaben von NOAA um circa 0.7 ppm jährlich. In den vergangenen zehn Jahren waren es schon um die 2 ppm.
Wissenschaftler haben die Treibhausgas-Konzentration der vergangenen 800.000 Jahre anhand von in Eisbohrkernen der Antarktis eingeschlossenen Luftbläschen rekonstruiert. Nach diesen Erkenntnissen lag die Konzentration vor der industriellen Revolution nie über 300 ppm.
Aufschlussreiche Messwerte aus der menschenleeren Arktis
Laut NOAA wurden jetzt zum ersten Mal in einem entlegenen Ort, ohne direkten Einfluss von Emissionen einer nahe gelegenen Siedlung, 400 ppm im Monatsdurchschnitt gemessen. Das heißt, der Wert muss auf den langfristigen CO2-Austoß zurückgehen, der zum Teil lange in der Atmosphäre verbleibt. Neben Barrow wurde der hohe Wert auch an sechs anderen Stationen registriert, auch in Finnland und Norwegen. In Barrow hielt sich der Wert allerdings einen ganzen Monat. Die Zahl 400 gilt für viele Wissenschaftler als wichtiger Schwellenwert. "Es ist eine Erinnerung an jeden, dass wir das Problem nicht gelöst haben und dass wir immer noch in Schwierigkeiten sind", sagte Jim Butler, Leiter für weltweite Messungen im Forschungslabor der US-Wetter und Ozeanografiebehörde.
Um den Anstieg der Temperatur auf maximal zwei Grad Celsius zu begrenzen, wie von der internationalen Gemeinschaft angepeilt, dürfte die CO2-Konzentration nach Berechnungen des Weltklimarats höchstens 445 ppm erreichen. Im Weltdurchschnitt liegt der Wert bereits bei rund 395 ppm. Falls der Schwellenwert überschritten wird, können bestimmte "Kippelemente" nicht mehr vermieden werden. Das heißt, dass beispielsweise der Permafrostboden in Sibirien, Alaska und Nordkanada auftauen könnte. Dort könnte sich das extrem aggressive Treibhausgas Methan freisetzen und negativ auf das Klima einwirken. Das Grönlandeis würde schneller abschmelzen, was zu einem bedrohlichen Anstieg des Meeresspiegels führen würde.
Signalwirkung für die Zukunft
Das einmalige Erreichen des Rekordwerts in der Arktis gilt den Klimaexperten als Vorbote eines weiteren globalen Anstiegs. "Die Arktis ist unser Beobachtungsgebiet, weil sie uns verrät, was auf die ganze Erde zukommt", erklärt der Atmosphärenwissenschaftler Pieter Tans von der NOAA. "Wir werden globale Werte von mindestens 400 ppm vermutlich um das Jahr 2016 sehen."
Das Erreichen der 400 ppm-Marke ist nicht verwunderlich, zieht man den Anstieg des CO2-Austosses vom Verbrennen fossiler Energieträger im vergangenen Jahr in Betracht. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) erreichten diese 2011 einen Rekordwert von 31.6 Gigatonnen. Das sind eine Gigatonne und damit 3.2% mehr als Vorjahr. Für eine 50-prozentige Chance, den globalen Temperaturanstieg auf die vereinbarten zwei Grad Celsius zu begrenzen, dürften die Emissionen bis 2017 nur noch um eine Gigatonne steigen. Für den Chefökonomen der IEA Fatih Birol zeigen diese Zahlen "dass die Tür zum Zweigradziel sich bald schließen wird."
Klimamodelle ergeben unterschiedliche Szenarien für die Entwicklung der Erdtemperatur, die stark von dem weiteren Ausstoß von CO2 und anderen Treibhausgasen abhängen. NOAA Forscher Jim Butler sieht die steigende Treibhausgas-Kurve aber als unmissverständliches Indiz dafür, dass die Erwärmung unaufhaltsam weitergehe: "Wenn wir die CO2-Konzentration in unserer Atmosphäre erhöhen, ist das so, als würden wir eine elektrische Heizdecke auf eine höhere Stufe stellen." Man wisse, dass es immer wärmer wird, aber man wisse eben nicht wie schnell die Temperaturen steigen. "Es kann eben eine Weile dauern bis die Heizdecke - oder in diesem Fall die Atmosphäre - sich aufheizt", so der Wissenschaftler.