Kleiner Schutzschirm
18. Januar 2013Anfang Februar 2013 sollen die deutschen, niederländischen und US-Patriot-Raketen im Südosten der Türkei in den Himmel ragen. Die hochmodernen Waffensysteme sollen mögliche Raketenangriffe aus Syrien auf den NATO-Partner Türkei abwehren. Die Deutschen werden in Kahramanmaras stationiert, die Niederländer bei der Mittelmeerstadt Adana und die US-Soldaten bei Gaziantep. Großstädte wie Diyarbakir oder Batman liegen aber außerhalb dieses Schutzschirms. Für eine wirksame Abwehr entlang der 900 Kilometer langen Grenze zu Syrien reichen die insgesamt sechs Patriot-Batterien nicht aus.
Luftwaffen-Sprecher Oberstleutnant Markus Werther betont im Gespräch mit der Deutschen Welle, dass die Entscheidung über die Standorte im NATO-Rahmen getroffen worden sei. Es habe eine enge Abstimmung aller beteiligten Länder gegeben. "Für Deutschland ist dann im Schulterschluss mit den Niederlanden, den USA und den Türken entschieden worden, wir gehen nach Kahramanmaras", sagt der Offizier. Die Bundeswehr hatte am 8. Januar 2013 begonnen, die Raketenstaffeln zu verschiffen.
Das Material soll am Montag (21.01.2013) im türkischen Hafen Iskenderun eintreffen und von dort auf dem Landweg ins rund 200 Kilometer entfernte Kahramanmaras im Süden des Landes gebracht werden, wo die Patriots stationiert werden sollen.
Patriot-Stationierung vor allem symbolischer Akt
Die Raketen mit einer Reichweite von 68 Kilometern können nur einige Metropolen im Süden das Landes abschirmen. Der Friedensforscher Michael Brzoska sieht in der Raketenabwehr deshalb vor allem einen symbolischen Akt. "Der Schutz, der theoretisch möglich wäre gegen Angriffe aus Syrien, ist auf sehr kleine Gebiete beschränkt", erläutert der wissenschaftliche Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Zwar seien große Bevölkerungszentren unter dem Raketenschirm. Ein weiter reichender Schutz ist Brzoska zufolge mit den vorhandenen Mitteln aber nicht möglich.
Bereits während der Irak-Kriege 1991 und 2003 waren Patriot-Staffeln des Bündnisses in der Türkei stationiert worden. Nachdem im Oktober 2012 fünf Türken durch Granaten von syrischer Seite getötet worden waren, hatte Ankara erneut die NATO um Beistand gebeten. Anfang Dezember 2012 hatte die Allianz grünes Licht für den Einsatz gegeben. Türkische Medien hatten berichtet, dass Ankara gern 18 bis 20 Systeme an seiner Südgrenze gesehen hätte. Das hätte jedoch einen erheblichen Teil aller Patriot-Einheiten gebunden. Deutschland, die USA und die Niederlande sagten schließlich je zwei Systeme zu.
Überwachung einer Flugverbotszone nicht möglich
Ausschlaggebend für die Standortwahl war neben Bedrohungsanalysen und logistischen Faktoren auch der defensive Charakter der Mission. "In den meisten NATO-Mitgliedsstaaten bestand große Sorge, dass die Patriots dazu eingesetzt werden könnten, auch im syrischen Luftraum Flugzeuge abzuschießen", sagt Brzoska. Die Bundesregierung hatte Anfang Dezember hervorgehoben, dass der Einsatz nicht der Einrichtung oder Überwachung einer Flugverbotszone über syrischem Territorium diene. Auch die NATO, unter deren Kommando der Einsatz läuft, betonte die rein defensive Absicht. Von Kahramanmaras und Adana sind es hundert Kilometer bis zur Grenze - zu weit, um Syrien überhaupt zu erreichen. Auch eine von Gaziantep abgefeuerte US-Rakete würde den südlichen Nachbarn allenfalls knapp erreichen.
In ihrem Einsatzgebiet können die Abwehrwaffen jedoch die türkische Luftabwehr verstärken. "Wenn der sehr unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dass aus Syrien Flugzeuge versuchen, in den türkischen Luftraum einzudringen oder gar Mittelstreckenraketen geschickt würden, würde die türkische Luftabwehr nur begrenzt in der Lage sein, das zu verhindern", sagt Brzoska. Vor allem Mittelstreckenraketen könnte die Türkei mit eigenen Mitteln kaum abwehren. Im Arsenal der syrischen Armee finden sich sowohl Mittelstreckenraketen als auch chemische Kampfstoffe. Die Nachbarstaaten fürchten, dass die Regierung in Damaskus im Fall einer drohenden Niederlage im syrischen Bürgerkrieg auch diese Waffen einsetzen könnte.
Bei Raketenangriff sekundenschnell einsatzbereit
Im Ernstfall sollen die Patriot-Waffensysteme sofort auf heranfliegende Raketen, Flugzeuge oder Drohnen reagieren können. Der Luftraum werde rund um die Uhr überwacht, erklärt Oberstleutnant Werther. "Wenn es zu einem Angriff kommen sollte, wovon wir derzeit noch nicht ausgehen müssen, dann ist die Bereitschaft des Waffensystems innerhalb von Sekunden gegeben."
Brzoska sieht keinen Grund, warum die Regierung in Damaskus Ziele in der Türkei beschießen sollte. Dementsprechend sei auch das Risiko für die Bundeswehrsoldaten gering, unter den Bedingungen des aktuellen Mandats in Kämpfe verwickelt zu werden. "Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass die Soldaten eine ruhige Zeit verleben können."