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Stille Schritte in China

Erning Zhu16. Oktober 2007

Nur alle fünf Jahre kommt die Kommunistische Partei Chinas zum Parteitag zusammen. Dort fallen häufig wegweisende Entscheidungen. Alt gediente Parteikader werden ausgemustert. Über neues Personal wird längst spekuliert.

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Fahnen am Kongress-zentrum (AP Photo/Ng Han Guan)
Hinter hohen Mauer gesichert und von 824.000 Sicherheitskräften beschütztBild: AP
Soldaten in Reihe (AP Photo/Ng Han Guan)
Höchste Sicherheitsstufe rund um den ParteitagBild: AP

In Beijing sind bis zum 22. Oktober 2217 Delegierte der Kommunistische Partei Chinas (KPCh) zum 17. Parteitag versammelt. Er soll eine Entscheidung darüber bringen, wer ins mächtigste Gremium aufsteigt und wer der fünften Generation der Parteiführung angehören wird.

Es war im März 2006, als ein Wirtschaftsrechtler auf einer hochkarätigen Ökonomen-Konferenz anmerkte, dass die KPCh als Verein eigentlich gar nicht eingetragen und damit schlicht illegal sei. Die KPCh ist immer wieder mit der Legitimationsfrage konfrontiert. Aber eine Kritik dieser Schärfe kommt selten vor. Die Partei kommt nicht umhin, sich Gedanken über ihre langfristige Strategie für die nächsten Jahrzehnte zu machen. Wie will sie das Riesenreich mit seinen 1,3 Milliarden Menschen zusammenhalten und überzeugend führen, wenn sie weiterhin ein Mehrparteisystem und die Gewaltenteilung ablehnt. Wirtschaftliche Erfolge allein können die Legitimation der Einparteienherrschaft nicht nachhaltig stützen, denn sie könnten auch einmal ausbleiben.

Geheimniskrämerei macht die Sache spannend

Der Versuch, die Herrschaft im Einparteiensystem legitim erscheinen zu lassen, ist eines der Hauptziele der alle fünf Jahre stattfindenden Parteitage. Das Treffen hat vor allem zwei Aufgaben zu erfüllen. Die Delegierten wählen ein Zentralkomitee (ZK), dessen Mitglieder dann das Politbüro mit seinem mächtigen ständigen Ausschuss, zurzeit mit neun Mitgliedern, bestimmen. Bei jeder Neubesetzung dieses entscheidenden Gremiums sind naturgemäß parteiinterne Machtkämpfe und in den Medien personelle Spekulationen unvermeidbar, denn die Auswahl dieser kleinen Gruppe von Menschen im höchsten Machtzentrum des riesigen Landes wurde bislang ohne Ausnahme hinter den Kulissen ausgehandelt.

Delegierte surfen auf den Internet-Seiten ihrer Partei (AP Photo/Andy Wong)
Delegierte surfen auf den Internet-Seiten ihrer ParteiBild: AP

Es ist diese Geheimniskrämerei, die die Sache erst spannend macht. So haben die Medien in Hongkong seit Jahrzehnten eine Art Spezialisierung in Sachen Personal-Spekulationen ausgebildet. Zurzeit konzentriert man sich dort auf drei Hoffnungsträger, die den Sprung ins ständige Komitee des Politbüros schaffen könnten - die Parteisekretäre der Provinz Liaoning Li Keqiang, der Stadt Shanghai Xi Jinping und der Provinz Jiangsu Li Yuanchao. Andere Gremien, wie das ZK, werden noch gewählt. Beim gegenwärtigen 17. Parteitag treten 15 Prozent mehr Kandidaten für das Zentralkomitee an, als Sitze vorgesehen sind. Beim vorigen Parteitag vor fünf Jahren war es erst 10 Prozent, eine Art Fortschritt in Richtung Demokratisierung.

Hu Jintao (l.) und Jiang Zemin (AP Photo/Greg Baker)
Hu Jintao (l.) und Jiang ZeminBild: AP

Ab ins Geschichtsbuch

Neben der Neubildung von Gremien gilt die Anpassung des Parteistatuts als zentrale Aufgabe des Parteitages. Dieses Dokument ist mehr als nur ein Parteiprogramm, das der Handlungsorientierung dient. Es legt viel mehr den ideologischen Rahmen fest. Wer als kommunistischer Führer in die chinesische Geschichte eingehen will, versucht, um jeden Preis einen Platz im Parteistatut zu erringen. So geschehen mit Mao und seinen Mao-Zedong-Ideen, Deng Xiaoping und seinen "Vier Modernisierungen", auch als "Deng-Xiaoping-Ideen" bekannt und Jiang Zemin mit seinen "Drei Repräsentationen". Für den 64-jährigen Parteichef Hu Jintao, der gleichzeitig als Staatspräsident und Vorsitzender der Militärkommission fungiert, scheint nun ebenfalls die Zeit gekommen, sein Vermächtnis standesgemäß zu würdigen. Es ist zu erwarten, dass seine Leitbegriffe "harmonische Gesellschaft" und "Wissenschaftliches Entwicklungskonzept" Aufnahme ins Parteistatut finden.

Das "Wissenschaftliche Entwicklungskonzept" spielt eine Rolle, die in den Medien kaum wahrgenommen wurde. Hu Jintao selbst war Ingenieur in Wasserbau, und unter seiner Führung wurde es zur Routine, dass Wissenschaftler im Politbüro regelmäßig Referate zu Themen wie Städtebau, Klimawandel und Makro-Marktwirtschaft vortrugen. Anders als seine Vorgänger will er ein China, das sich zwar weiterhin auf rasantem Wachstumskurs befindet, aber nicht um jeden Preis, zum Beispiel nicht auf Kosten der Umwelt, auch nicht, wenn die Gesellschaft auseinander fällt. Die Entscheidungen, die getroffen werden, sollen nicht mehr willkürlich sein, sondern durch Analysen der Voraussetzungen und Folgen wissenschaftlich fundiert. Sein großes Ziel ist die Schaffung einer "harmonischen" Gesellschaft, in der die Menschen im Zentrum stehen.

Mit diesem Ideal ist ein Ziel formuliert, das mit dem wirklichen Leben Chinas in der Gegenwart wenig gemein hat. Es ist schließlich alles andere als harmonisch, wenn sich die ganze Stadt Beijing in einen einzigen gewaltigen Ausnahmezustand verwandelt, mit 824.000 Sicherheitskräften im Einsatz, und Dissidenten der Stadt verwiesen oder eingesperrt werden, nur wegen dieses Parteitages? Fordert die Partei eine gesellschaftliche Harmonie, die sie selbst verhindert?

Eine sonderbare politische Landschaft

Hu Jintao ist in Erklärungsnot. Immerhin tritt er für "mehr Demokratie" in der Partei ein und einige Reformen sind umgesetzt worden. Die lokalen Kader werden beispielsweise zwei Wochen lang von der Basis bewertet, bevor sie befördert werden können. Und innerhalb der Partei selbst wurden mehrere "Fraktionen" gebildet, etwa die Shanghai-Gruppe, die Jiangsu-Gruppe, der Jugendverband, die Erdöl-Gruppe und andere. Sie sorgen für eine gewisse Machtbalance. Sogar Liu Xiaobo, einer der bekanntesten und schärfsten Regimekritiker Chinas, vertritt die Meinung, dass kritische Stimmen in der KP immer lauter geworden sind. Es sei schwierig geworden, so Liu Xiaobo, sie auf die Linie der Partei-Zentrale einzustimmen. "Die Linken und die Rechten, deren Positionen beide nicht die der Partei sind, bilden eine sonderbare Landschaft in der Politik der chinesischen Gegenwart."

Die vierte Generation der Parteiführung mit Hu Jintao an der Spitze hat einige Beiträge zur Liberalisierung der politischen Systems geleistet, mehr als ihre Vorgänger. Sie stellen zwar noch keine politische Reform dar, sind aber durchaus stille, kleine Schritte zur politischen Reform. Auch für sie, die vierte Generation, gilt die so genannte rote Linie, die nicht überschritten werden darf. Sie verhindert somit ein Mehrparteisystem und Gewaltenteilung. Aber dergleichen wird von diesem 17. Parteitag ohnehin nicht erwartet.