Klappe halten und spielen?
15. Mai 2018Vielleicht war es auch Mesut Özils herzliches, breites Lächeln, das er bei der Trikotübergabe an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan aufgesetzt hatte, das gefühlt ganz Deutschland gegen ihn und seinen Kollegen Ilkay Gündogan aufgebracht hat. Wenn er ein bisschen ernster geguckt, vielleicht einen etwas kritischeren Blick aufgesetzt hätte, als er dem umstrittenen Präsidenten ein Trikot seines Vereins FC Arsenal überreichte - vielleicht wären die Kommentare dann nicht ganz so vernichtend gewesen. Vielleicht.
Auch Gündogan hätte den Shitstorm zumindest abfedern können, hätte er sein Trikot nicht mit einer persönlichen Widmung versehen: "Für meinen verehrten Präsidenten - hochachtungsvoll!"
So jedenfalls waren sich Nutzer auf Twitter und Facebook, die deutschen Medien und Politiker einig wie selten: Die Geste der beiden deutschen Nationalspieler, Erdogan im Zuge seiner Wahlkampftour in London am Rande einer Veranstaltung zu treffen und ihm Trikots zu überreichen, ging gar nicht. Grünen-Politiker Cem Özdemir, selbst türkischstämmig, sprach sogar von "geschmackloser Wahlkampfhilfe". Eine Petition auf change.org forderte, Gündogan und Özil nicht zur WM nach Russland mitzunehmen, und sammelte innerhalb eines Tages 30.000 Unterschriften. Auch nachdem feststand, dass die beiden von Löw nominiert wurden, kamen im Sekundentakt weitere Unterschriften dazu.
Auf Twitter forderten Nutzer, die beiden gänzlich aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft auszuschließen. Auch der Deutsche Fußballbund (DFB) übte Kritik an dem Treffen mit Erdogan. Bundestrainer Jogi Löw kündigte ein intensives Gespräch im Trainingslager an, erklärte aber auch, er habe "zu keiner Sekunde" daran gezweifelt, Özil und Gündogan aus dem WM-Kader zu werfen.
Fokus ausschließlich auf den Sport?
Internationale Spitzensportler wie Özil und Gündogan sind wandelnde Litfaßsäulen. In den sozialen Medien folgen ihnen Millionen von Menschen aus der ganzen Welt. Allein Mesut Özil hat 23 Millionen Follower auf Twitter. Jeder Schritt, den er tut, wird beachtet - gefeiert oder kritisch beäugt. Wie so viele andere Athleten ist er Sportler, Werbebotschafter, aber auch Bürger eines Landes. Im Zuge solcher Diskussionen stellt sich immer wieder die Frage: Sollten Spitzensportler sich darauf konzentrieren, wofür sie bezahlt werden: den Sport? Und sonst lieber den Ball flach halten?
Bei FIFA, UEFA und dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) gibt es - zumindest bei Wettbewerben - klare Grundsätze: politische oder religiöse Botschaften zu verbreiten, ist verboten. In der IOC-Charta heißt es in Artikel 50, Absatz III wörtlich: "Jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassistische Propaganda ist an den olympischen Stätten, Austragungsorten oder in anderen olympischen Bereichen untersagt."
Was allerdings außerhalb des sportlichen Wettbewerbs, abseits des Spielfeldes passiert, ist eine andere Sache. Hier treten Spitzensportler nicht nur als Sportler auf. Gerade der DFB versteht sich laut Ethik-Kodex ganz klar auch als Botschafter für Vielfalt, der Rassismus und Diskriminierung den Kampf ansagen will. Der nach eigenem Verständnis eine herausragende gesellschaftliche, soziale und sportpolitische Verantwortung wahrnehmen und auch durch den Sport Werte vermitteln will.
Sportler als mündige Bürger
Jürgen Mittag, Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule in Köln, glaubt nicht, dass eine strikte Trennung von Sport und Politik möglich ist. "Wir erleben, dass Themen wie Sport und Menschenrechte, Sport und soziale Verantwortung, Sport und Umweltfragen, Sport und Fragen der Migration in ganz hohem Maße von den Medien vor allem zum Gegenstand der Vorfeldberichterstattung gemacht werden", sagt Mittag im Interview mit der DW. "Und dass in diesem Zuge genau dieser Anspruch an Spieler und Athleten als mündige Bürger gestellt wird, die Prozesse zumindest wahrzunehmen oder sogar Stellung zu beziehen." Zwar zähle in erster Linie der sportliche Erfolg, so Mittag. Doch mit dem Erfolg gehe immer auch eine gewisse politische Verantwortung einher.
Verbände und Fußballclubs sorgen auch dafür, dass Sportler Hintergrundinformationen zu den Ländern erhalten, in die sie reisen. Jeder Fußball-Nationalspieler hat eine App auf seinem Smartphone, die zum einen der internen Kommunikation dient. Zum anderen werden dort auch Infos zu Land und Leuten und der politischen Situation im jeweiligen Austragungsland verbreitet. Auch im Vorfeld der WM sollen die Spieler "auf die Brisanz gewisser Fragen" hingewiesen werden, heißt es aus der DFB-Führung.
Kritik kann belohnt werden
Ein mündiger Spieler ist also - zumindest beim DFB - grundsätzlich sehr erwünscht. Aber auch die Öffentlichkeit erwartet immer wieder von Sportlern, Stellung zu beziehen. Wenn der FC Bayern ins Trainingslager nach Katar reist, hagelt es Kritik. Im Zuge Olympischer Spiele wird je nach Gastgeberland geradezu erwartet, dass Sportler auch über die Menschenrechtslage Bescheid wissen. Kritik von Sportlern an autoritären Systemen wird oft medial belohnt und wirkt sich positiv auf das Image des Sportlers und damit auch auf seinen Marktwert aus.
Es ist also nicht so, dass Sportler keine politische Meinung haben oder die Nähe zu Politikern suchen dürften. "Ich glaube, es würde sich keiner beschweren, wenn ein deutscher Nationalspieler sich bei einer Trikotübergabe mit Merkel und einem Bundespräsidenten abbilden lässt", sagt Jürgen Mittag. Auch Lukas Podolskis Selfie mit der Kanzlerin nach dem Titelgewinn 2014 wurde in den sozialen Netzwerken gefeiert.
Entscheidend scheint viel eher der Dunstkreis des politischen Systems zu sein, in dem sich der Sportler aufhält. Wenn Özil und Gündogan sich mit einem Autokraten ablichten lassen, kommt das nicht gut an - selbst wenn sie beteuern, damit keine politische Botschaft aussenden zu wollen, sondern eine reine "Geste der Höflichkeit", wie Gündogan in einem Statement schrieb. Dazu gehören bei den beiden offenbar auch ein breites Lächeln und eine persönliche Widmung.