Kittel sprintet in Grün
7. Juli 2017Für Jubel auf dem Zielstrich blieb keine Zeit, auch in den Minuten danach traute sich weder Marcel Kittel noch der Norweger Edvald Boasson Hagen zu jubeln. Zu knapp war die Entscheidung. Wieder einmal kam Kittel erst ganz spät aus dem Windschatten seiner Konkurrenten, hätte sich allerdings um ein Haar verpokert. Erst als die Kampfrichter das Zielfoto ausgewertet hatten, sprachen wenige Millimeter für den Thüringer. "Ich hatte keine Ahnung, ob ich gewonnen habe. Es war gerade so genug", sagte Kittel, der sich "sehr stolz" zeigte, dass es ihm gelungen war, Erik Zabels deutschen Rekord von zwölf Etappensiegen bei der Tour de France eingestellt zu haben.
Die ersten ganz schweren Bergprüfungen am Wochenende kann der Quick-Step-Profi nun relativ gelassen angehen. Er ist schon längst über dem Soll und trägt nun auch das Grüne Trikot, nachdem Konkurrent Arnaud Démare nur Elfter wurde. Das starke deutsche Gesamtergebnis rundeten John Degenkolb auf Platz fünf, Rüdiger Selig als Siebter, André Greipel auf Rang neun und Rick Zabel am 47. Geburtstag seines Vaters als Zwölfter ab.
Gesamtführender Froome wachsam
Zwischen den Weinbergen des Burgunds herrschte auf den letzten 40 km immer wieder einmal die Gefahr von Seitenwinden, die das Feld hätten auseinanderreißen können. Deshalb zeigte sich auch das Team Sky mit Titelverteidiger Christopher Froome oft an der Spitze, um für eine solche Situation gewappnet zu sein. Auf der ewig langen Zielgeraden war dann Geduld gefragt - und Kittel wartete bis zum letzten Augenblick.
Die Flachetappe hatte bis ins Finale das altbekannte Format. Einige Ausreißergruppen durften sich im Fernsehen zeigen, wurden aber unter Kontrolle gehalten. Wie in den Vortagen sparte Kittel dann auch Kräfte beim Zwischensprint. Das Gelbe Trikot des Gesamtführenden behauptete Froome problemlos.
Die Konkurrenten hatten bereits nach dem zweiten Streich Kittels Überlegenheit anerkannt - ohne jedoch aufzugeben. "Derzeit ist Kittel der Schnellste", sagte etwa der Norweger Alexander Kristoff aus dem Team Katjuscha-Alpecin: "Wir müssen uns etwas Besonderes einfallen lassen oder auf einen Fehler hoffen, um ihn zu schlagen." Auch Greipel stellte nüchtern fest: "Kittel und Démare sind sehr stark in diesem Jahr."
Kittel zurück in Bestform
Um auf das aktuelle Niveau zu kommen, hat Kittel lange geschuftet. Nach seinem Seuchenjahr 2015 war er zwar schon im vergangenen Sommer wieder auf einem hohen Level, aber keineswegs derart dominant. "Es war ein harter Weg zurück", sagte Kittel. Es war auch ein Weg der Suche nach innerer Balance.
Die Viruserkrankung und in der Folge die Tour-Ausbootung hatten ihn vor zwei Jahren an vielen Dingen zweifeln lassen. Gerade weil Kittel 2013 und 2014 bei der Tour zum weltbesten Sprinter aufgestiegen war. "In einer Karriere gibt es immer Hochs und Tiefs. Aber am Ende zählt, dass ich dieses Level und diese Siege wieder erreicht habe", betonte der Wahl-Schweizer.
Bergriesen warten auf das Feld
Am Wochenende treten die Sprinter um Kittel aus dem Rampenlicht. Es wird bergig bei der Großen Schleife, der Abschnitt am Samstag zur Station des Rousses im Jura darf noch als Ouvertüre angesehen werden. Am Sonntag müssen die Favoriten ihre Karten auf den Tisch legen.
Das Teilstück zwischen Nantua und Chambéry betrachten viele Experten bereits als die Königsetappe der 104. Tour. Sieben kategorisierte Anstiege stellen sich den Radprofis auf 181,5 km in den Weg, darunter drei der Sonderkategorie. Hier werden sich unter Froome und Co. die wahren Kräfteverhältnisse offenbaren.
jk,sn (sid,dpa)