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Kittel: "Erwartungen übertroffen"

Joscha Weber 24. Juli 2013

Insgesamt viermal stand Sprinter Marcel Kittel bei der 100. Tour de France auf dem Siegerpodest. Im DW-Gespräch erzählt er von schweren Beinen und dem Kampf gegen das schlechte Image des Radsports.

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Marcel Kittel jubelt (Foto: JOEL SAGET/AFP/Getty Images)
Bild: JOEL SAGET/AFP/Getty Images

DW: Marcel Kittel, mit ihren vier Etappensiegen haben sie die Erwartungen ihres Teams weit übertroffen. Auch ihre eigenen oder hatten sie insgeheim darauf gehofft?

Marcel Kittel: Ich muss ehrlich sagen: So eine Bomben-Tour hätte ich nicht erwartet. Ich bin mit der Erwartung in die Tour gegangen, dass ich in der Lage bin, gemeinsam mit der Mannschaft um einen Etappensieg zu kämpfen. Am Ende hat das gleich auf der ersten Etappe geklappt. Und dann ist wirklich alles ein wenig in Schwung gekommen. Die Motivation hat sich wahrscheinlich verhundertfacht, weil man sofort gemerkt hat, dass es für uns möglich ist, dass wir noch mehr machen können als nur diese eine Etappe zu gewinnen. Jetzt mit drei Etappensiegen, einem Tag im Gelben und im Grünen Trikot sind die Erwartungen bei weitem übertroffen worden. Es ist einfach Wahnsinn.

Mark Cavendish twitterte neulich, dass er Sie für "the next big thing" im Sprint halte. Manche Experten sehen in ihnen sogar schon seinen Nachfolger als schnellsten Sprinter der Welt. Sind sie schon so weit?

Erstmal freue ich mich natürlich, dass der Erfolg so anerkannt wird - auch von Cavendish selber. Aber ich versuche einfach meinen eigenen Weg zu gehen und mich nicht mit anderen zu vergleichen oder mich vergleichen zu lassen. Ich glaube, dass ich hier bei der Tour gezeigt habe, zu was ich fähig bin. Auch in den vergangenen Jahren habe ich gezeigt, dass ich viele Rennen gewinnen kann und daran arbeite ich jetzt zusammen mit meiner Mannschaft weiter.

Kittel schlägt Cavendish auf der 12. Tour-Etappe im Sprint (Foto: REUTERS/Jean-Paul Pelissier)
Kittel schlägt Cavendish auf der 12. Tour-EtappeBild: REUTERS

Die Tour ist in ihrer entscheidenden Phase - zumindest für die Favoriten. Wie erleben Sie die Bergetappen?

(lacht) Ich sitze ganz hinten in letzter Reihe und beobachte das aus der Distanz. Für mich gibt es da nicht viel zu holen. Es geht für mich eigentlich nur darum, in einer guten Gruppe zu sein und innerhalb des Zeitlimits das Ziel zu erreichen.

Es ist das erste Mal, dass sie bei einer Rundfahrt in der dritten Woche noch dabei sind. Wie fühlen sich eigentlich ihre Beine an?

Im Moment fühlen sie sich gut massiert an. Aber insgesamt ist es natürlich schon eine andere Erfahrung, wie man seinen eigenen Körper wahrnimmt. Die Beine sind schon dick und schwer und jeden Tag ist es eine Herausforderung, wieder ans Limit zu gehen. Aber das macht gerade auch den Reiz aus - im Radsport im Speziellen und im Sport allgemein. Man lernt sich bei der Tour im Grunde neu kennen und das Rennen wird jetzt mehr oder weniger im Kopf entschieden, nicht in den Beinen.

Marcel Kittel rollt mit offenem Mund über die Ziellinie (Foto: Doug Pensinger/Getty Images)
Bild: Getty Images

Während dieser Tour wurde viel über die Aussagekraft von Wattzahlen diskutiert. Verraten Sie uns ihre maximal getretene Wattzahl in einem Sprint bei der Tour?

(lacht) Normalerweise spreche ich da nicht so gerne drüber. Die Formel 1 verrät auch nicht die technischen Daten ihrer Motoren. Aber es kommt an die 2000 Watt heran.

Trotz drei Etappensiegen liegen sie in der Wertung des Grünen Trikots klar hinter Peter Sagan. Was fehlt Ihnen noch, um in Zukunft die Punktwertung gewinnen zu können?

Das ist eine gute Frage. Ich möchte das Grüne Trikot nicht ausschließen und werde in der Zukunft mal versuchen, es zu gewinnen. Das ist ein sehr anspruchsvolles und hochgestecktes Ziel, aber man muss als Sportler auch solche Ziele irgendwann einmal verfolgen. Im Moment wäre es wahrscheinlich noch ein bisschen zuviel des Guten, aber ich denke, ich bin noch jung und habe noch Zeit, es in Zukunft zu versuchen.

Marcel Kittel streift das Gelbe Trikot über (Foto: BELGA PHOTO YORICK JANSENS)
Das Gelbe Trikot durfte Kittel bereits tragen, künftig will er das Grüne nach Paris tragenBild: picture-alliance/dpa

Man konnte in diesen Tagen von Ihnen lesen, dass sie traurig sind, weil ihre Etappensiege und die von André Greipel und Tony Martin in Deutschland kaum Resonanz und Anerkennung ausgelöst haben. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Es ist natürlich schon so, dass der Radsport in Deutschland vom Image her noch nicht da ist, wo ich und die anderen deutschen Tour-Starter es gerne hätten. Ich habe gesagt, dass ich es als Herausforderung sehe, dass wir als junge und jetzt auch erfolgreiche Sportler mithelfen möchten, diese Vergangenheit aufzuarbeiten. Dass wir uns als Kämpfer für einen sauberen Sport engagieren möchten. Ich hoffe, dass das gemeinsam mit den Erfolgen, die wir jetzt feiern Aufmerksamkeit bekommt.

Ein Profi überragt alle anderen bei der Tour: Chris Froome. Wie glaubwürdig ist seine Leistung für Sie?

Ich persönlich kann letztendlich nichts dazu sagen, ob seine Leistung glaubwürdig ist oder nicht. Nur er selbst weiß, was wahr und was falsch ist. Ich persönlich möchte ihm schon gerne glauben. Auch weil es dem Radsport sehr helfen würde. Im Moment ist es ja schon so, dass ihm nichts vorzuwerfen ist. Als einzige Referenz könnte man eine positive Dopingprobe nehmen, die es aber nicht gibt.

Christopher Froome im Gelben Trikot (Foto: JEFF PACHOUD/AFP/Getty Images)
Der Gesamtführende Christopher FroomeBild: Jeff Pachoud/AFP/Getty Images

Zum Abschluss erwartet das Peloton etwas ganz Besonderes: Ein Sprint in der Dämmerung auf den Champs-Elysées. Wie groß sind ihre Chancen auf einen Sieg?

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Vorher stehen noch die Alpen im Weg. Da versuche ich mich zunächst mal durchzukämpfen. Wenn wir dann irgendwann in Paris sind, hoffe ich, dass die Beine noch gut genug sind, um noch ein letztes Mal in diesem Jahr bei der Tour auf Etappenjagd zu gehen. Ich hoffe, wenn alles gut läuft, dass die Chancen gut für uns stehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Marcel Kittel, geboren 1988 in Arnstadt (Thüringen), war 2005 und 2006 Junioren-Weltmeister im Zeitfahren. Nach seiner Zeit beim Thüringer Energie Team (2007-2010) wechselte er zur Saison 2011 zum Team Skil-Shimano, das heute Argos-Shimano heißt. Dort entwickelte er sich zum Spezialisten für Sprintankünfte. Neben den vier Etappensiegen bei der diesjährigen Tour zählen ein Etappensieg bei der Vuelta (2011), ein Etappensieg bei Paris-Nizza (2013) und der Sieg beim Scheldepreis (2013) zu seinen wichtigsten Erfolgen.

Das Interview führte Joscha Weber