Kirchenverbot in der Ukraine - und was die EU dazu sagt
29. August 2024Religiöse Organisationen in der Ukraine dürfen bald nicht mehr mit der Russischen Orthodoxen Kirche zusammenarbeiten. Das Verbot richtet sich faktisch gegen die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats. Sie war bis 2022 der Russisch-Orthodoxen Kirche untergeordnet, bis sie sich rund drei Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine von dieser lossagte. Ob das eine ernstzunehmende Trennung ist oder ein reines Lippenbekenntnis, ist Teil der Debatte.
Der Entwurf des Gesetzes hatte Monate lang für Kontroversen gesorgt, auch auf europäischer Ebene. Doch als das ukrainische Parlament die Vorlage am 20. August schließlich beschloss, gab es keine besondere Reaktion - weder seitens der Europäischen Union noch von anderen westlichen Partnern Kiews.
EU: Ukraine gewährleistet Religionsfreiheit
Ist die Regelung mit der Religionsfreiheit vereinbar? Die Verfassung und die Gesetze der Ukraine garantieren das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit - so, wie es in der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Charta der Grundrechte der EU verankert ist. Das erklärt Peter Stano, Sprecher der EU-Kommission für auswärtige Angelegenheiten, gegenüber der DW. Er verweist auf den Bericht der Europäischen Kommission zur Ukraine vom 8. November 2023 und betont: "Im Allgemeinen setzen die ukrainischen Behörden diese Rechte durch."
Die EU-Kommission sei sich bewusst, dass die Ukraine rechtliche Schritte gegen die Ukrainische Orthodoxe Kirche einleite, da das Moskauer Patriarchat den russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine unterstütze. "Wir haben zur Kenntnis genommen", so Stano, "dass das ukrainische Parlament ein Gesetz verabschiedet hat, das Aktivitäten religiöser Organisationen, die mit der Russischen Orthodoxen Kirche verbunden sind, in der Ukraine aus Gründen der nationalen Sicherheit und der Verhinderung ausländischer Einmischung aus Russland verbietet."
Komplexe Gemengelage
Die EU wolle sich in dieses Thema offenbar nicht einmischen und werde es auch nicht zu einem zentralen Faktor in den Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine machen, meint Teona Lavrelashvili vom Wilfried Martens Centre for European Studies auf Anfrage der DW.
Der Politologin zufolge bewertet die EU potenzielle Mitgliedstaaten anhand der Kopenhagener Kriterien. Dabei lege sie Wert auf stabile Institutionen, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten. "Das Verbot religiöser Organisationen mit Verbindungen zur Russischen Orthodoxen Kirche in der Ukraine kann anhand dieser Kriterien überprüft werden, insbesondere im Hinblick auf die Religions- und Vereinigungsfreiheit", so Lavrelashvili. In der Praxis müsse aber berücksichtigt werden, dass die Lage in der Ukraine hochkomplex sei.
Hochverrat, Kollaboration und Mittäterschaft
Seit Beginn der umfassenden russischen Invasion haben die ukrainischen Behörden mehr als 100 Strafverfahren gegen Priester der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats eingeleitet. 26 von ihnen wurden dem Sicherheitsdienst der Ukraine zufolge verurteilt - meist wegen Hochverrats, Kollaboration mit Russland und Mittäterschaft.
Die Russische Orthodoxe Kirche nennt den Einmarsch in die Ukraine einen "heiligen Krieg" und propagiert, dass das gesamte Territorium der Ukraine "unter die ausschließliche Einflusssphäre Russlands gebracht werden muss". Daher betrachtet Kiew diese Kirche als ideologischen Arm des Kreml und als Komplizen bei Kriegsverbrechen.
Eine Studie des ukrainischen Amts für Ethnopolitik und Religionsfreiheit ergab, dass die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats weiterhin eine Organisation mit Zentrum in Russland ist. Nach wie vor bestehe eine kirchenrechtliche Verbindung zur Russischen Orthodoxen Kirche, der sie untergeordnet sei. Die Verbindung sei keineswegs aufgelöst, wie es die Ukrainische Orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats behauptet. Offiziell hat sie den Namenszusatz "Moskauer Patriarchat" mittlerweile abgelegt.
Keine internationale juristische Prüfung des Kirchenverbots
Bevor sie das Gesetz auf den Weg brachte, hätte die ukrainische Regierung sich verfassungsrechtlich beraten lassen können - etwa durch die Venedig-Kommission des Europarates, die Rechtsakte auf Einhaltung europäischer Standards überprüft. Das hatten 46 Abgeordnete vorgeschlagen. Doch Parlamentspräsident Ruslan Stefantschuk lehnte die Initiative mit der Begründung ab, dass sie unnötig sei. "Wir nutzen diesen Mechanismus bei wirklich komplexen Gesetzesentwürfen", sagte er der Agentur Interfax-Ukraine. Es blieb bei einer innerparlamentarischen Prüfung.
Dem parlamentarischen Ausschuss für EU-Integration zufolge entspricht der Gesetzentwurf den internationalen Verpflichtungen der Ukraine. Die Abgeordneten beriefen sich dabei auf den Ukraine-Bericht der EU-Kommission, und zwar auf den Teil, der die Gewährleistung der Grundrechte behandelt. Der Bericht beschreibt, dass die Ukraine seit November 2022 rechtliche Schritte gegen die mit Moskau verbundene Ukrainische Orthodoxe Kirche unternommen habe. Dazu gehörten Sanktionen gegen hohe Kirchenvertreter, denen vorgeworfen wird, dass sie den russischen Angriffskrieg unterstützen, ebenso wie die Durchsuchung von Kirchenräumen.
Die EU-Kommission erklärte in dem Zusammenhang, Kiew wolle "eine ausländische Einmischung seitens Russlands mittels einer religiösen Organisation verhindern, ohne einfache Anhänger der Kirche zu verfolgen".
Nationale Sicherheit geht vor Religionsfreiheit
Die Intention der EU sei offensichtlich, sagt Teona Lavrelashvili. Sie halte das Gesetz für notwendig, um die nationale Sicherheit der Ukraine zu schützen. "Im Kontext des Krieges wird die EU wahrscheinlich eine Einmischung vermeiden. Sie wird die Maßnahmen der Ukraine als symbolischen Akt einstufen, der Kiews Wunsch nach geistlicher Unabhängigkeit von Moskau demonstriert."
Das Gesetz werde der europäischen Integration der Ukraine vermutlich nicht im Wege stehen, glaubt auch Dmytro Wowk, Juraprofessor und Religionsexperte von der Jaroslaw-Mudryj-Universität für Nationales Recht in Charkiw, der zur Zeit in New York lehrt. Teona Lavrelashvili geht davon aus, dass Brüssel von Kiew Garantien verlangen werde, wenn weiter über den EU-Beitritt der Ukraine verhandelt werde: Dann müsse die Regierung sicherstellen, dass niemand aufgrund des neuen Gesetzes wegen seiner religiösen Überzeugung diskriminiert wird.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk