Kirchentag Bonhoeffer-Oper
3. Mai 2013Leise Streicher, Trompeten wie Nadelstiche, ein kräftiges, klares Cello: Der Anfang klingt verhalten. Chor und Solisten erklimmen dann aber respektable Höhen. Tische werden gerückt, ein Eimer mit Erde ausgekippt, eine Schafspuppe hin und hergetragen. Zwei Stunden lang wird gefeiert, getrauert, gebetet, massakriert und gestorben. Zeitweise bevölkern 250 Profi- und Laienmusiker die Bühne der Kulturfabrik Kampnagel – nackter Betonboden, schmucklos wie das ganze Arrangement, das dunkel wirkt und nur durch eine Diaprojektion auf die rückwärtige Hallenwand erleuchtet wird.
Bonhoeffer als Opernheld?
Vieles ist anders an dieser Oper. Das geht schon los mit ihrer Entstehung als Auftragswerk des Evangelischen Kirchentags. Das setzt sich fort mit der Wahl des Stoffes – es geht um die evangelische Lichtgestalt des 20. Jahrhunderts, den Theologen Dietrich Bonhoeffer, von dem Kirchentagspräsident Gerhard Robbers, der Initiator, sagt: "Dietrich Bonhoeffer hat aus dem Glauben heraus in einer schweren und falschen Zeit Richtiges getan – ein Mensch, an dem man sich ein Beispiel nehmen kann". Bonhoeffer war aufrechter Christ. Er gehörte zur Bekennenden Kirche, leistete Widerstand gegen die Nationalsozialisten und wurde kurz vor Kriegsende am 9. April 1945 im KZ Flossenburg ermordet – auf persönlichen Befehl Hitlers.
Kommt hier ein Gutmensch auf die Bühne? Oper als Banalisierung des Guten? Liberettist David Gravenhorst erklärt: "Wir haben vorgehabt, Bonhoeffer gerecht zu werden. Und das geht nur, wenn wir ihn selbst nicht zeigen." Dem Theologen, sagt Gravenhorst, wäre es "wohl ein Grauen gewesen, zum Opernhelden stilisiert zu werden." Am Libretto hat auch Theresita Colloredo mitgewirkt.
Fünf opernreife Bilder
Und so sind auch Texte und Inszenierung nicht alltäglich. Die Oper erzählt eine Parabel. Germa und ihr Bruder Heman wachsen auf einem Bauernhof auf. In schweren Zeiten verspricht der charismatische Drako, als vermeintlicher Heilsbringer alles zum Guten zu wenden. Germa und die anderen Gutsbewohner folgen ihm, während Heman sich Drako, der zum Tyrannen mutiert, mutig widersetzt. Das ist, kurz gefasst, die Geschichte. Regisseurin Kirsten Harms, früher an der Deutschen Staatsoper Berlin, hat sie in fünf Bildern arrangiert, opernreif.
Beim Einsatz des Bühnenpersonals wendet Harms einen logistischen Trick an: Das Orchester rückt ins Zentrum der Bühnenfläche. Sänger und Schauspieler bespielen den Raum rundherum - die folgerichtige Antwort der Spielleiterin auf die gewählte Fabrikoptik. Sie betont, dass Bonhoeffer im Stück gar nicht vorkommt: "Wir spielen eine erfundene Geschichte, ein Gleichnis, das Zeitgeschichte verdichtet und zeigt, wo er heute "dem Rad in die Speiche greifen würde."
Stilmix als dunkler Unterton
Neun Solisten und den Chor der Kantorei St. Nikolai hat Regisseurin Harms für "Vom Ende der Unschuld" rekrutiert. Die Oper geht nicht leicht ins Ohr. Ein dunkler ernster Unterton durchzieht die Musik, in der verschiedenste Musikstile anklingen. Zitate vergangener Epochen ertönen, vom Psalm bis zu surrealistischen Klängen, von Barock bis Postavantgarde. Stephan Peiffer, Absolvent der Hamburger Hochschule für Musik und Theater, wollte zeitlose Musik schaffen. Zwei Jahre dauerte sein Ringen mit Noten und Stoff. Doch seine musikalische Handschrift wirkt nervös und uneinheitlich. Vielleicht, um der Figur Bonhoeffer gerecht zu werden: "Will man ihn als Menschen darstellen mit seinen Stärken und Schwächen?", fragt Peiffer, Die Librettisten, er und auch die Kirchentagsleitung hätten sich genau dafür entschieden.
"Bonhoeffer würde nicht schweigen"
Doch wer ist jetzt dieser Bonhoeffer, wenn nicht der Held in einem vom Kirchentag bestellten Schwarz-Weiß-Gemälde? Eine Antwort gaben Demonstranten, die das Premierenpublikum vor der Kulturfabrik Kampnagel mit grellgelben Transparenten empfingen. Sie forderten, den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zum Kirchentagsthema zu machen. Der evangelische Pastor Friedhelm Meyer aus Düsseldorf: "Wenn Bonhoeffer heute leben würde, er würde zum Leiden der Christen und Muslime in Palästina mit Sicherheit nicht schweigen, sondern aufschreien!"