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Die Deutschen und ihr Kiosk - eine Liebesbeziehung

Dana Regev
3. November 2021

Man mag die Deutschen aus ihrem Kiosk rauskriegen (mit viel Überredungskunst). Aber man wird es nicht schaffen, den Kiosk aus den Deutschen rauszubekommen.

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Kiosk in Dortmund
Treffpunkt für Fußballfans - ein Kiosk in DortmundBild: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Stell Dir mal vor: Du bist (zu Nicht-Corona-Zeiten!) auf Besichtigungstour in Deutschland mit Deinem Partner, Deiner Familie oder Deiner besten Freundin bzw. Deinem besten Freund. Es ist eine dieser lauen europäischen Sommernächte, in denen die Sonne erst gegen zehn Uhr abends untergeht, und die Straßen sind voller Menschen, die das Leben genießen. Es wird gegessen, getrunken, gelacht - alles in der Hoffnung, dieser Sommer möge nie zu Ende gehen. Kurzum: der perfekte Moment, um noch ein Glas Wein trinken zu gehen in einer gemütlichen Kneipe oder einen kühlen Cocktail in einer schicken Bar. 

Aber nein - die Alternative lautet: Warum nicht einfach ein Getränk am Kiosk kaufen? "Am Kiosk?", fragst Du Dich jetzt vielleicht. "Was um alles in der Welt hat ein Kiosk in diesem stilvollen Bild des städtischen deutschen Sommerabends verloren?" 

Nun, in Deutschland sehr viel. Hier kann man sehr wohl abends ausgehen und dabei den Kiosk ansteuern. Falls Dir das nicht vertraut ist - hier sind die wichtigsten Dinge, die man über die Samstagabend-Party am Kiosk wissen muss:

Es geht (nicht nur) ums Geld 

Zuallererst muss man natürlich sagen: Es ist günstiger, ein alkoholisches Getränk am Kiosk zu kaufen als in der Bar. Allerdings sind auch in den Bars in Deutschland Bier und Wein häufig genauso günstig wie Wasser, so dass für Besucher aus dem Ausland das Geld-Argument eigentlich nicht wirklich zählt.

Kiosk in Köln
Wohlfühl-Atmosphäre im Kiosk?Bild: Uwe Geisler/Geisler-Fotopress/picture-alliance

Und es geht auch tatsächlich nicht nur darum, Geld zu sparen. Das habe ich in den letzten sechs Jahren, seitdem ich in Deutschland lebe, gelernt. "Es geht um die Atmosphäre", sagen meine deutschen Freunde. 

"Welche Atmosphäre?", habe ich skeptisch gefragt und dabei an kleine, oft schmutzige Pavillons gedacht, in denen hauptsächlich Zigaretten und billiger Schnaps um zwei Uhr morgens verkauft werden. Ich sollte eines Besseren belehrt werden. 

Als erstes lernte ich das "Wegbier" kennen, das man - wie der Name schon sagt - auf dem Weg zu einer Party oder Versammlung zu sich nimmt, sozusagen als Aperitif. Okay, das klingt ganz legitim. 

Treffpunkt Kiosk 

Ob der Genuss von gutem Essen oder Trinken eine spezifisch deutsche Tugend ist oder nicht - nun, das ist vielleicht Thema für einen anderen Artikel. Aber es lässt sich nicht leugnen, dass die Deutschen nicht gerade dafür bekannt sind, dass sie - zumindest auf der stereotypen Ebene - viel Geld für Genuss ausgeben.

Effizient - ja; diszipliniert - ja; gewissenhaft - oft; aber luxuriös und schick? Eher nicht. 

Wir reden hier immerhin über das Land der Socken und Sandalen, in dem Souvenir-Shirts, die man im letzten Urlaub am Mittelmeer gekauft hat, eine legitime Art sind sich in der Öffentlichkeit zu kleiden. 

Trinkhalle mit Menschen davor im Sommer
Ein Tag am Kiosk - absolut stilvollBild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Konsequenterweise wird daher das Sitzen auf den Stufen vor einem Kiosk mit einer Flasche Bier in der Hand - oder sogar einer Dose - nicht direkt als asozial angesehen. Im Gegenteil: Es ist eher ein Zeichen von Bodenständigkeit, zudem ist es unterhaltsam und erschwinglich. Egal, ob man nun Lust auf Alkohol, Limo, eine abendlichen Snack oder auch schlichtweg auf ein Gespräch mit einem alten Freund hat. 

"Spätis" in der ehemaligen DDR 

Das Konzept des Pavillons gibt es schon seit dem 13. Jahrhundert. In Persien, auf dem indischen Subkontinent und im Osmanischen Reich waren Kioske gang und gäbe. In Deutschland aber wurden solche nächtlichen Shops erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der ehemaligen DDR eingeführt. Sie ermöglichten den Arbeitern, die von der Spätschicht nach Hause kamen, einen Happen zu essen oder zu trinken. Sie waren bekannt als "Spätkauf" oder kurz "Späti" und für manch einen waren sie lebensrettend. 

Das Konzept des "Spätkaufs" wurde später auch im übrigen Teil Deutschlands übernommen, insbesondere nach der Wiedervereinigung vor 30 Jahren. Außerhalb der ehemaligen DDR sind solche Läden jedoch eher als "Kiosk", "Trinkhalle" oder "Büdchen" bekannt.

Beleuchteter Spätkauf in Berlin am Abend
Die "Spätis" spielten eine wichtige Rolle für die Versorgung der Bevölkerung in der ehemaligen DDRBild: Wolfram Steinberg/dpa/picture-alliance

Bis heute verkaufen die "Spätis" vor allem Alkohol und Tabak, einige bieten aber auch richtige Lebensmittel wie Brot, Milch und Gemüse an. 

Wer schon einmal in Deutschland war, hat vielleicht bemerkt, dass nicht nur die Supermärkte sonntags geschlossen sind, sondern in vielen kleineren Städten die Lebensmittelgeschäfte auch werktags schon vor 18 Uhr schließen. Der Kiosk ist dann häufig die einzige Möglichkeit, um sich mit den grundlegenden Lebensmitteln einzudecken.  

Kiosk ist Kult

Der Kiosk ist nicht in allen Teilen Deutschlands gleich beliebt. Was jedoch definitiv zu seiner Popularität beigetragen hat, sind die kleinen Bänke und Tisch, die die Besitzer oft für ihre Kunden rausstellen. Manchmal gibt es sogar kleine Tanzflächen oder Konzerte. 

Band vor einer Trinkhalle im Ruhrgebiet
Konzert vorm Kiosk am "Tag der Trinkhalle"Bild: RTG/Kreklau

In Köln, wo ich derzeit lebe, stand ein Kiosk kurz davor, wegen finanzieller Schwierigkeiten geschlossen zu werden. Doch die Menschen im Viertel verhinderten dies, indem sie eine "GoFundMe"-Kampagne starteten, um ihren geliebten Kiosk zu retten. 

Kurzum: Für viele Deutsche ist der Kiosk keine Nebensache, sondern nicht selten die Hauptattraktion des Abends. Es lohnt sich also, bei einem Besuch in Deutschland hier einmal Zeit zu verbringen und dem Abend am Kiosk eine Chance zu geben. Zum einem spart man sicherlich ein paar Euro, aber vor allen Dingen lernt man ein Stück deutsche Alltagskultur kennen - und vielleicht ja sogar den einen oder anderen netten Menschen.

Bitte haltet Euch dabei an die Corona-Hygieneregeln und hofft auf bessere Zeiten. Bleibt gesund!

Die Deutschen und ihr Bier

Alle Folgen von "Meet the Germans" gibt es unter dw.com/MeettheGermans_de, außerdem  auf YouTube oder auf Instagram

Adaption: Petra Lambeck