25 Jahre Kinderrechte
20. November 20142014 ist ein besonderes Jahr für Kinderrechte. Annähernd ein Vierteljahrhundert nach der Verabschiedung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen im November 1989, werden erstmals zwei Kinderrechtsaktivisten mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet: die 17-jährige Malala Yousafzai aus Pakistan, die sich für das Recht von Mädchen auf Bildung einsetzt und der 60jährige Kailash Satyarthi aus Indien, der sein Leben dem Kampf gegen Kinderarbeit gewidmet hat. Malala ist dabei nicht nur die jüngste Nobelpreisträgerin aller Zeiten. Sie ist das erste und einzige Kind, dem jemals diese Ehre zuteil wurde.
"Das ist ein klarer Ausdruck einer neuen Sicht auf Kinder, eine Abkehr von dem alten Bild, das Kinder lediglich als schutzbedürftige Personen zeigte", freut sich in Genf der Kinderrechtsexperte Nigel Cantwell, der in den 1980er Jahren als NGO-Koordinator maßgeblich an der Entstehung der Kinderrechtskonvention beteiligt war. "Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass Kinder sehr wohl in der Lage sind, einen eigenen Beitrag zu leisten und bei ihrem Engagement für die Menschenrechte von Kindern ernst genommen werden müssen."
Menschenrechte für Kinder
Die Vorstellung, dass Kinder keine Objekte elterlicher Erziehung und gutmeinender Wohltätigkeit sind, sondern klar definierte eigene Rechte haben, ist bis heute keine Selbstverständlichkeit. Dieses Unverständnis belege nachdrücklich, wie überfällig die Kinderrechtskonvention gewesen sei, findet Nigel Cantwell. "Diejenigen, die die bestehenden Menschenrechtskonventionen ausgearbeitet und ratifiziert hatten, wären nie auf die Idee gekommen, dass sie auf Kinder anzuwenden seien. Es gibt zwar de facto keine untere Altersgrenze für die Anwendung der anderen Konventionen, aber an die Kinder hat einfach niemand gedacht. Das ist ein genaues Abbild der damaligen Wahrnehmung von Kindern. Was ihre Rechte anging, waren sie so gut wie nicht existent."
In 54 Artikeln verpflichtet die Konvention die Vertragsstaaten dazu, Kinder vor Diskriminierung, Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt zu schützen.
Die Konvention sagt ausdrücklich, dass alle Kinder der Welt neben dem Recht auf einen gesunden Start ins Leben auch das Recht haben, zur Schule zu gehen und ihr geistiges und körperliches Entwicklungspotential ausschöpfen zu können. Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, haben sie das Recht auf eine eigene Meinung und müssen angehört werden. In jedem Fall ist das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen.
Ist die Welt heute ein besserer Ort für Kinder?
25 Jahre nach der Verabschiedung der Konvention stellt das Kinderhilfswerk UNICEF die Frage nach den erzielten Fortschritten. Ist die Welt heute ein besserer Ort für Kinder als sie es 1989 war? Die Antwort der Experten ist ein deutliches "Ja!" mit einem nachgeschobenen "aber...".
"Es gibt Bereiche, in denen wir bedeutsame Fortschritte gemacht haben", erklärt Nicolette Moodie vom Genfer UNICEF-Büro. "In den Bereichen Gesundheit und Erziehung zum Beispiel waren die Fortschritte beträchtlich, auch wenn es bei der Bildung seit einigen Jahren nicht mehr richtig vorwärts geht." Ein Baby, das 2014 geboren wird, hat laut UNICEF eine sehr viel größere Chance seinen fünften Geburtstag zu erleben als es noch vor 25 Jahren der Fall war. Dank Impfstoffen und verbesserter medizinischer Versorgung ist die Kindersterblichkeit seit 1990 fast um die Hälfte zurückgegangen. Das bedeutet aber gleichzeitig, dass jeden Tag immer noch 17.000 Kinder sterben, die meisten von ihnen an vermeidbaren Krankheiten.
Was Kinder tatsächlich tötet, sind Armut und Mangelernährung, heißt es beim UN-Kinderhilfswerk. UNICEF erklärt deshalb die Armutsbekämpfung zu einer der dringlichsten Aufgaben. Und auch hier sind Fortschritte zu vermelden: der Anteil der Menschen in Entwicklungsländern, die in extremer Armut leben, ist um die Hälfte zurückgegangen. Während 1990 noch fast jeder zweite Mensch in einem Entwicklungsland in extremer Armut lebte, war es 2010 nicht einmal jeder fünfte. Kinder sind unter den Ärmsten allerdings überproportional vertreten, räumt Nicolette Moodie ein. "Wir sehen hier deutliche Unterschiede - je nach Einkommen, ethnischer Zugehörigkeit, Nichtbehinderung oder Behinderung." Auch wenn es um den Schutz von Kindern geht, waren die Fortschritte der letzten 25 Jahre nicht so ausgeprägt, wie es dem Geist der Kinderrechtskonvention entsprechen würde. "In den Bereichen Gewalt gegen Kinder, Kinderarbeit und Kinderehen, sieht man nur langsame Fortschritte. Gegen Kinderarbeit kannst du nicht einfach einen Impfstoff verabreichen. Hier sind Maßnahmen sehr viel komplizierter umzusetzen."
Gemischte Bilanz
Die Kinderrechtskonvention hat nach Ansicht von Experten maßgeblich dazu beigetragen, die globalen Rahmenbedingungen für Kinder zu verbessern. Aber auch die Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) der Vereinten Nationen hat eine große Rolle gespielt. Die internationale Staatengemeinschaft hat sich im Jahr 2000 auf ehrgeizige Ziele bei der Bekämpfung von Armut und beim Zugang zu Nahrungsmitteln, Gesundheit und Bildung bis 2015 verpflichtet.
"Wir haben die vergleichbar leicht zu erreichenden Ziele umsetzen können", sagt Nicolette Moodie von UNICEF ein Jahr vor der großen offiziellen Schlussbilanz der MDGs. "Aber wir haben es nicht geschafft, die Ärmsten und Marginalisierten zu erreichen. Und genau hier weist uns die Kinderrechtskonvention und ihr Gebot der Nichtdiskriminierung den Weg, wie es nach den Millenniums-Entwicklungszielen weitergehen sollte. Wir müssen uns intensiv um diejenigen kümmern, die wir bislang nicht erreicht haben."
Die Kinderrechtskonvention zählt zu den erfolgreichsten Konventionen in der Geschichte der Vereinten Nationen: kein Menschenrechtsvertrag ist von den Staaten der Welt so schnell und so umfassend angenommen worden. 1990 ist sie in Kraft getreten, 194 Staaten haben sie inzwischen ratifiziert, nur die USA, Somalia und der Südsudan stehen abseits. Angesichts dieser nahezu universalen Zustimmung ist die Welt zumindest auf dem Papier ein Kinderparadies - doch die Lebenswirklichkeit von Millionen von Kindern ist geprägt von humanitären Krisen, Gewalt und Armut.
Hammer in die Hand nehmen
Es habe vor 25 Jahren sicherlich einen moralischen Druck gegeben, die Konvention zu unterschreiben, meint Kinderrechtsexperte Nigel Cantwell. Das liege daran, dass Kinder überall auf der Welt einen besonderen Platz im öffentlichen Bewusstsein einnehmen und Enthusiasmus für Kinderprojekte leichter zu erwecken ist als etwa für Hilfsaktionen für Flüchtlinge. Im Alltag sei die Verwirklichung von Kinderrechten jedoch ein ständiger Kraftakt.
Die Konvention sieht vor, dass alle Staaten sich turnusgemäß der Überprüfung durch ein Komitee von unabhängigen Kinderrechtsexperten unterziehen und alle fünf Jahre über Fortschritte und Schwierigkeiten bei der Verwirklichung von Kinderrechten im eigenen Land berichten. Das Komitee hat zuletzt Anfang 2014 für weltweite Schlagzeilen gesorgt, als es der Delegation des Vatikans hartnäckig und kenntnisreich Fragen zum Kindesmissbrauch durch katholische Priester stellte. Die Zivilgesellschaft hat bei den Länderüberprüfungen umfassende Mitwirkungsmöglichkeiten. Immer häufiger nehmen auch Kinder ihr Recht auf Meinungsäußerung und Anhörung wahr. Die potenzielle Schlagkraft der Kinderrechtskonvention sei enorm, sagt Nigel Cantwell.
"Sie ist ein Instrument, ein Werkzeug, das du richtig bedienen musst. Ein Hammer allein schlägt noch keinen Nagel ein. Du musst den Hammer in die Hand nehmen und den Nagel einschlagen. Genauso musst du es mit der Konvention machen: du musst sie dir aneignen und benutzen."