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Kinderleiche - Sinnbild einer Flucht in den Tod

3. September 2015

Die syrische Familie wollte nach Kanada - Europa war in diesem Fall nur die zweite Wahl. Das nordamerikanische Land verweigerte die Einreise. Jetzt sind der dreijährige Aylan Kurdi, seine Mutter und sein Bruder tot.

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Polizist birgt Kinderleiche bei Bodrum (Foto: AP/picture alliance)
Bild: picture-alliance/AP Photo/DHA

Herausgehoben aus der Menge der tragischen Schicksale, die sich nahezu täglich auf der Flucht nach Europa ereignen, wird der Tod der drei Familienmitglieder durch das erschütternde Foto des toten Kleinkindes, das um die Welt ging. Der leblose Körper des kleinen Jungen, bekleidet mit einem roten T-Shirt und Jeans, war mit dem Gesicht nach unten an einem Strand des türkischen Badeortes Bodrum angespült worden.

Die kanadische Presse berichtet unter Berufung auf Verwandte der Familie, dass Kanada den Asylantrag der Familie aus Syrien abgelehnt hat. In ihrer Verzweiflung versuchte die Familie - Vater, Mutter und die beiden kleinen Söhne - sich über die Türkei nach Europa durchzuschlagen.

Die türkische Zeitung "Sabah" berichtet, der dreijährige Aylan, sein fünfjähriger Bruder Galip und die 35-jährige Mutter Rehan seien ertrunken, als ihr Boot, bei dem Versuch von der Türkei aus auf die griechische Ägäisinsel Kos überzusetzen, gekentert sei. Die Leichen wurden bei Bodrum an Land gespült. Der Vater, Abdullah, habe sehr geschwächt überlebt.

Schleuser gefasst?

Inzwischen konnten die Schleuser der Familie angeblich gefasst werden. Die türkische Nachrichtenagentur Dogan meldet, die Polizei habe vier aus Syrien stammende Verdächtige in Bodrum festgenommen.

Der oppositionelle syrische Radiosender Rosana FM berichtet, der Vater habe in einem Telefonat erklärt, den Schleusern 4000 Euro für die Überfahrt seiner Familie gezahlt zu haben. Die Menschenschmuggler hätten die Flüchtlinge bei starkem Seegang alleine auf dem Boot zurückgelassen. "Ich half meinen beiden Söhnen und meiner Frau und versuchte mehr als eine Stunde lang, mich am gekenterten Boot festzuhalten." Es sei ihm nicht gelungen, seine Familie vor dem Tod zu bewahren. "Danach war ich drei Stunden im Wasser, bis die Küstenwache ankam und mich rettete."

Die beiden Kleinkinder und ihre Mutter gehörten soweit bekannt zu einer Gruppe von mindestens zwölf syrischen Flüchtlingen, die am Mittwoch vor der türkischen Küste ertrunken waren. Das Boot, mit dem sie Richtung Kos unterwegs waren, war mit 17 Menschen offenbar total überladen.

Die kanadische Tageszeitung "Ottawa Citizen" berichtete, der Vater habe mit seiner Frau und den beiden Söhnen zu seiner Schwester nach Vancouver gelangen wollen. Die Schwester des Vaters, Teema Kurdi, lebe schon seit 20 Jahren in Vancouver. Sie habe per Telefon von einer Verwandten von dem Unglück erfahren, schreibt die "National Post". Sie wurde von ihrem Bruder Abdullah angerufen und alles, was er sagte, war: "Meine Frau und meine beiden Kinder sind tot."

Sie und ihre Freunde und Nachbarn hätten versucht ihren Angehörigen die Flucht nach Kanada zu finanzieren, schreibt der "Guardian" unter Berufung auf Teema Kurdi. Es sei aber nicht gelungen, ihnen die Einreise nach Kanada zu ermöglichen. Deswegen hätte sich die Familie aus Kobane auf die gefährliche Flucht mit dem Boot über das Mittelmeer begeben.

Schock in Europa

Sowohl die Politik als auch die Presse reagierten schockiert auf das Bild des toten Flüchtlingskindes. Der spanische Regierungschef Mariano Rajoy nannte das Foto im Radiosender Cope "dramatisch und schockierend". "Wir müssen die Lage in Syrien in den Griff bekommen", sagte er. Frankreichs Premierminister Manuel Valls schrieb bei Twitter, es sei "höchste Zeit zu reagieren". Nötig sei eine "europäische Mobilisierung". Großbritanniens Premierminister David Cameron sagte: "Jeder, der letzte Nacht diese Bilder gesehen hat, konnte gar nicht anders, als bewegt zu sein."

"Was, wenn nicht dieses Bild eines an den Strand gespülten syrischen Kindes, wird die europäische Haltung gegenüber Flüchtlingen ändern?", fragte die britische Zeitung "The Independent"."Es reicht", titelt die Athener Zeitung "Ta Nea" über dem Bild der im Sand liegenden Jungenleiche auf der ersten Seite. Europa zeige sich "unzulänglich" in dem Migrations-Drama. "Ein Foto, um die Welt zum Schweigen zu bringen", kommentierte die italienische Zeitung "La Repubblica". "Der Untergang Europas", schreibt die spanische Zeitung "El Periódico" in ihrer Onlineausgabe.

Fotografin erklärt sich

Die Reporterin Nilüfer Demir, die das Foto für die Nachrichtenagentur Dogan machte, sagte im Fernsehsender CNN-Türk, sie sei beim Anblick der Leiche "erstarrt". "Leider konnte nichts mehr für das Kind getan werden", fügte sie hinzu. Ihr einziger Gedanke bei der Aufnahme des Bildes sei gewesen, den Schmerz, den sie bei der Tragödie empfunden habe, an die Öffentlichkeit weiter zu geben.

qu/uh (afp, rtr, APE, dpa, Guardian, CNN-Türk)